Herr Bofrost, der Apotheker und ich
tauche genau in dem Moment unter den Schreibtisch, als sich eine Wolke von Vanille im Raum ausbreitet.
Kapitel 5
Bereitschaftsdienst nennt er das!
Christian betrügt mich, ganz eindeutig. Ich brauche gar nicht erst zu versuchen, eine Erklärung dafür zu finden oder mir einzureden, eigentlich sei alles ganz anders. Es ist seine Stimme, die ich da eben gehört habe. Es sind seine Schuhe, die sich in diesem Moment auf ein Paar giftgrüne Pumps zubewegen, das kann ich durch den Spalt in der Rückwand des Schreibtisches ganz genau sehen. Bestimmt steckt die Vanillefrau aus dem Waschraum in den unbequemen Frauenschuhen, zumindest ist ihr Duft verräterisch. Und ich habe noch vor fünf Minuten ihre langen Beine bewundert! So ein Mist aber auch, dass ich nicht mehr sehen kann, als dass die beiden mittlerweile verdächtig nahe beieinander stehen.
Ich fühle mich wie in einem schlechten Film. Allerdings bin ich nur Zuschauerin und das auch noch auf einem sehr billigen Platz. Die schöne Hauptdarstellerin indes fragt gerade fordernd:
»Was ist denn mit heute Abend?«
Heute Abend? Wir hatten vor, noch einmal die Details für die Feier in drei Wochen durchzusprechen. Am liebsten würde ich mir jetzt die Ohren zuhalten, damit ich die Antwort nicht mitbekomme. Aber noch lieber wäre mir, ich wäre niemals Zeugin dieses Gespräches geworden und die Waage wäre heute Morgen tatsächlich unter meinen Füßen explodiert. Oder aber sie wäre in die Luft geflogen, als ich mir schon das Frühstück zubereitete und Christian noch ahnungslos auf dem Klo saß.
Aber ich bin hier. In einer äußerst unbequemen Körperhaltung hocke ich unter dem Schreibtisch und versuche ganz leise zu atmen, damit mich nur niemand hört. Allerdings klopft mein Herz so laut, dass ich mir sicher bin, sowieso gleich entdeckt zu werden. Aber das passiert zum Glück nicht. Auch nicht, als ich bei Christians Antwort doch laut ausatmen muss.
»Ich hab wirklich verdammt viel um die Ohren wegen der Forschungsarbeit und der Feierlichkeiten in drei Wochen, das weißt du doch. Aber vielleicht schaffe ich es ja heute Abend? Vielleicht kann ich meinen Bereitschaftsdienst tauschen und komme stattdessen zu dir. Was hältst du davon?«
Bereitschaftsdienst nennt er das! Und ich habe ihn auch noch bemitleidet, weil er die letzten Monate häufig abends und auch mal nachts in die Klinik musste. Zudem fand ich es sogar sehr edel und selbstlos von ihm, dass er sich so oft freiwillig meldet, damit seine Kollegen mit kleinen Kindern mehr Zeit für ihre Familien und nicht so häufig Nachtdienst schoben. Ich war sogar besonders liebevoll und aufmerksam zu ihm und habe ihm auch noch die Füße massiert und ihn verwöhnt, wenn er völlig ausgelaugt am nächsten Tag heimkam.
Und nun hänge ich wegen dieser geheuchelten Selbstlosigkeit auf allen vieren unter einem Schreibtisch fest.
Ich könnte unter der Tischplatte hervorkommen, um dem ganzen Spiel ein Ende zu bereiten. Meine Knie schmerzen. Und ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll. Mir ist nach beidem zumute.
Aber ich komme gar nicht mehr dazu, eine Entscheidung zu treffen, denn plötzlich geht die Tür auf, und Frau Glocke betritt den Raum. Auch das noch! Als sie die beiden sieht, zieht sie gekonnt eine Augenbraue hoch, das kann ich genau sehen, weil der Schreibtisch seitlich zur Tür steht und ich freie Bahn auf sie habe. Bestimmt weiß sie längst Bescheid.
»Ach Frau Glocke, ich habe auf Sie gewartet«, höre ich Christian abgebrüht sagen. »Wir müssen noch den Terminkalender durchgehen. Können Sie mal nachschauen, wer heute Zeit hätte, meinen Bereitschaftsdienst zu übernehmen? Ich muss noch einige Dinge für die Feier klären.«
Mir wird abrupt schlecht, und ich habe das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Zu allem Überfluss kommt die gute Frau Glocke nun auch noch zielstrebig auf mich zu und setzt sich auf ihren Stuhl. Wenn sie Pech hat, landen gleich die Armen Ritter auf ihren Schuhen. Vielleicht werde ich aber auch ohnmächtig und wache erst wieder auf, wenn das ganze Spektakel hier vorbei ist. Das wäre nicht die schlechteste Lösung …
Doch nichts von beidem passiert. Frau Glocke schaut mir direkt in die Augen. Aber sie ist überhaupt nicht überrascht und verzieht keine Miene, als sie mich wild gestikulierend unter ihrem Schreibtisch entdeckt. Zum Glück versteht sie mich auch ohne Worte.
»Hat das noch eine halbe Stunde Zeit?«, wendet sie sich, die Ruhe selbst, an meinen
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