Herr Bofrost, der Apotheker und ich
seinem Büro ist. Andernteils könnte ich auch schnell an der Rezeption nachfragen, dann weiß ich es sicher und hetze nicht umsonst die vielen Stufen hoch. Ich mag nämlich keine Fahrstühle, seit ich letzten Monat mal in einem stecken geblieben bin. Und das zusammen mit einem ganz unmöglichen Kerl, der die ganze Zeit über nur Blödsinn erzählt hat und die Situation auch noch auszukosten schien.
»Dr. Blennemann? Der hat Sprechstunde, müsste also da sein. Soll ich Sie anmelden?«
»Ach nein, lassen Sie mal. Ich will ihn überraschen und flitze mal eben hoch.«
Von wegen flitzen, vier Etagen kann ich nicht einfach mal eben so hoch, schon gar nicht im Sommer. Als ich endlich oben ankomme, bin ich wieder nass geschwitzt. Aber immerhin stecke ich diesmal nicht in einem mörderisch engen Kleid fest, das aus irgendeinem Grund besonderes Interesse an mir gefunden zu haben scheint.
Ich beschließe, noch einen kurzen Abstecher in den Waschraum zu unternehmen, um mich ein wenig frisch zu machen.
Dank der Feuchttücher und des Deos, das ich immer bei mir habe, fühle ich mich gleich ein wenig besser. Wir haben bestimmt an die 30 Grad. Die Hitze scheint jedoch der jungen Frau, die neben mir am Waschbecken steht, nicht sehr viel auszumachen. Sie zieht den Kragen ihrer für meinen Geschmack etwas zu weit aufgeknöpften Bluse zurecht. Schließlich fährt sie sorgfältig ihre Lippen mit einem kräftigen Lippenstift nach, zupft ihre zerzausten Haare zurecht und betrachtet sich einen Augenblick kritisch im Spiegel. Dann lächelt sie sich selbstzufrieden an. Ist sie eine Besucherin oder eine Angestellte?, frage ich mich.
»Heiß heute, nicht wahr?«, sagt die Frau und sieht mich freundlich von der Seite an.
Kurz darauf erfüllt den Toilettenraum ein süßlicher, schwerer Duft, den ich sofort als Vanille ausmache. Es ist eine eigenartige Angewohnheit von mir, stets meine Umgebung erschnüffeln zu wollen. Düfte sagen ungemein viel über Menschen aus. Wenn ich einen Geruch wahrnehme und ihn im Moment nicht näher identifizieren kann, dann werde ich schier wahnsinnig. Aber dieser Vanilleduft ist eindeutig. Im Sommer bevorzuge ich persönlich eher leichte, fruchtige oder auch blumige Düfte, aber das ist eben Geschmacksache. Meine Waschbeckennachbarin spart auf jeden Fall nicht an Parfum, das sie gerade großzügig auf sämtliche unbedeckte Körperstellen versprüht. Sie ist schätzungsweise 25 Jahre alt, und beim Lächeln zeigt sie strahlend weiße Zähne. Dann wuschelt sie sich noch einmal durch ihre blonde schulterlange Haarmähne.
Ob der Duft bei Männern wirkt? Gut, dass ich so etwas nicht nötig habe. Ich möchte mich nicht mit Unmengen eines schweren Parfums besprühen müssen, um irgendeinen Kerl einzulullen. Außerdem habe ich schon einen Freund. Und der liebt mich genauso, wie ich bin.
Mein Haar ist lockig und schön glänzend. Christian zuliebe trage ich es lang und offen. Es ist braun, und in der Sonne leuchtet es leicht rötlich. Schminke benutze ich so gut wie nie. Ich mag es einfach nicht, wenn mein Gesicht hinter einer Maske aus Make-up verschwindet. Dafür lasse ich mir regelmäßig die Wimpern schön dunkel färben, betone aber meine Augen sonst nicht weiter. Sie leuchten auch so in einem satten Grün. Ab und an lasse ich mich mit einer intensiven Massage und anschließender Feuchtigkeitspackung von meiner Kosmetikerin verwöhnen, die jedes Mal wieder meine schöne Haut und mein straffes Bindegewebe lobt. Und meine Zähne sind auch weiß, nur sind sie nicht so riesig wie die Schaufeln der Vanillefrau. Man kann eben nicht alles haben, denke ich spöttisch. Eine tolle Figur wird manchmal mit einem Pferdegebiss bestraft. Aber ich will nicht ungerecht sein. Die Frau ist nicht unsympathisch, und ich gönne ihr die langen Beine und was sie sonst noch hat.
Ich werfe einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und trage etwas Labello auf. Das muss reichen. Dann wünsche ich der blonden Schönheit noch einen schönen Tag und mache ich mich auf den Weg zu Christian.
Ich biege gerade um die Ecke, als mir Frau Glocke, die Chefsekretärin, auf dem Flur entgegenkommt.
Ohne sie läuft auf der Station gar nichts. Sie hat die Übersicht über alle Termine, agiert vorausschauend, ist verschwiegen und nicht überdurchschnittlich hübsch, weswegen meine Mutter bisher auch nie Probleme mit ihr hatte. Außerdem ist Frau Glocke sehr nett. Sie freut sich richtig, mich zu sehen, und strahlt mich an.
»Herr Dr. Blennemann ist
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