Herr Bofrost, der Apotheker und ich
gegangen, als vorhin mein Chef angerufen hat. Wäre ich nur nicht auf Überraschungsbesuch in der Klinik aufgetaucht.
Aber was soll das? Dann würde ich Christian später dafür loben, dass er wieder mal einen Bereitschaftsdienst übernimmt. Der Begriff »Bereitschaftsdienst« hat definitiv seit heute eine ganz neue Bedeutung. Ich möchte lieber gar nicht wissen, zu welchen Diensten sich mein Freund bereit erklärt! Bei dem Gedanken wird mir gleich wieder schlecht.
Es war also gut, dass ich vorhin ans Handy gegangen bin ... Apropos Telefon. Ich muss mit jemandem reden. Mir fällt zuerst meine Freundin Carmen ein, die bestimmt auch in solchen Situationen Rat weiß.
Das Handy muss irgendwo in meiner extragroßen Handtasche sein. Mit einem kleinen modischen Schickimicki-Täschchen könnte ich niemals etwas anfangen, denn da würde mein ganzes Notfallaccessoire gar nicht reinpassen. Neben einer Batterie voller Tampons befinden sich Taschentücher, Feuchttücher, eine Ersatzstrumpfhose, Deo, Pfefferminzbonbons, etliche Kugelschreiber und ein kleines Notizbuch darin. Und dann ist da noch der Löffel aus Plastik, den ich immer griffbereit dabei habe. Es gibt bestimmte Dinge, die würde ich niemals mit einem Metalllöffel essen. Quark, Joghurt, Eis und andere Milchprodukte wandern nur in meinen Mund, wenn ich sie mit einem Kunststofflöffel genießen kann. Christian ist das immer hochnotpeinlich. Besonders wenn wir in einem der schicken Restaurants unterwegs sind, auf die er so steht, und ich meinen Nachtisch dort mit Plastiklöffel bestelle. Deswegen gehe ich auch am liebsten bei Antonella im La Conchiglia essen. Da ist die Küche erstklassig, und meinen Plastiklöffel bekomme ich immer gleich dazu, ohne ihn extra bestellen zu müssen.
Außerdem hat Carmen Molinero dort vor ein paar Jahren ihre große Liebe Federico, Antonellas Sohn, kennengelernt. Es hat ordentlich gefunkt zwischen den beiden, und ab und an hat es richtig geknallt, wenn Federicos italienisches auf Carmens spanisches Temperament getroffen ist. Die beiden haben sich getrennt, um sich kurz darauf wieder tränenreich zu vertragen. Bis auf das letzte Mal, als Federico partout nicht einsehen wollte, dass Carmen unbedingt nach Hanau ziehen musste, um dort auch ein Restaurant zu übernehmen.
Federico hat Carmen vor die Wahl gestellt: Entweder er oder das Restaurant. Meine Freundin hat seitdem nie wieder ein Wort mit ihm gesprochen …
Als ich die Tasche ausschütte und mir der ganze Kram entgegenfliegt, rutscht schließlich auch das Handy aus dem Seitenfach. Leise fluche ich vor mich hin, als ich feststelle, dass ich mir die Suche hätte sparen können. Der Bildschirm bleibt dunkel, und es lässt sich auch nicht wieder anstellen. Der Akku ist leer. Ist ja mal wieder typisch! Hätte es nicht eine Stunde früher ausgehen können? Dann wäre ich nicht in die Klinik gefahren und würde mir gerade unbeschwerte Gedanken darüber machen, welche Leckereien ich am Abend koche, natürlich kohlenhydratfrei. Aber Christian speist ja heute sowieso nicht zuhause. Er wird lieber seine tolle Kollegin beglücken. Dabei mag er große Frauen doch gar nicht, und die blöde Vanillefrau ist fast genauso groß wie er! Aber das sollte mir momentan egal sein, dann telefoniere ich eben später mit Carmen. Mein Verstand muss jetzt klar funktionieren – verzweifelt versuche ich, den Kopf frei zu bekommen. Noch zehn Minuten, dann muss ich wieder zurück in die Klinik und den Ärzten das Röntgengerät erklären. Da die Vorführung in der gynäkologischen Abteilung stattfindet, kann ich den Nebeneingang benutzen und muss mich nicht mehr der Kardiologie nähern. Herzchirurg, pah! Dachte ich vorhin noch, Christian wäre ein ausgezeichneter Arzt? Wie soll das funktionieren, wenn er so sorglos mit den Herzen anderer Menschen umgeht? Es hat bestimmt Gründe, warum er ausgerechnet Chirurg werden wollte. Immerhin schlafen seine Patienten, wenn er sie operiert. Dabei kann er bedenkenlos mit ihnen umspringen, wie er will. Sie bekommen ja eh nichts mit.
So wie ich, ich habe auch nichts mitbekommen, obwohl Christian sich seit ungefähr vier Monaten total verändert hat, also genau seitdem er verstärkt diese Bereitschaftsdienste hat. Das hätte mich doch stutzig machen müssen. Christian hat abgenommen, geht ins Solarium, macht Sport und hat ausgesprochen gute Laune die letzte Zeit. Dabei hat er angeblich Rückenprobleme, sodass er nicht mit mir Bettgymnastik machen kann. Mir erzählt er, er
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