Herr Bofrost, der Apotheker und ich
ich behalten, auch wenn das alles nicht so ganz zusammenpasste.
Wir setzten uns auf die breite Polsterbank an der hinteren Wand. Gegenüber befand sich eine große, hellgrau gestrichene Leinwand. Wenn man lange genug darauf starrte, begannen Farben darauf zu tanzen, blass erst, dann immer leuchtender. Bewegte Muster entstanden, flüchtige Bilder. Ein Meer von Klatschmohn im Wind, gelbe Luftballons vor einem Abendhimmel, Kerzen im Schnee ... Sahen wir das Gleiche? – Es spielte keine Rolle, und keiner von uns machte den Versuch, es zu erforschen. Wenn man in einem Konzert sitzt und demselben Orchester lauscht, hört man auch nicht immer dasselbe. Das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass man das Gleiche spürt.
Schließlich lösten wir uns, verließen die Räume der Träume.
Wir schlenderten durch die untere Etage, verharrten lange vor dem »Sturz der Engel« von Max Ernst. Ein Mann, eine Frau, beide nackt und, wie es schien, im freien Fall, dicht aneinander geschmiegt, sie kopfüber, er sie haltend. Es könnte ein beunruhigendes Bild sein, doch so habe ich es nie empfunden. Für mich ist es immer Ausdruck intimster Nähe, bedingungslosen Sich-Anvertrauens. Das schönste Liebesbild, das ich kenne.
Dann gingen wir zu Kurt Schwitters. Den Merz-Bau mit seinen schiefen Wänden hebe ich mir immer bis zum Schluss auf, für mich ist er das absolute Highlight. Auch jetzt gingen wir nicht gleich hinein. Steffen blieb erst einmal vor dem Plakat mit dem Gedicht an Anna Blume stehen. Er las es mir vor. Ganz. Es war, als hörte ich es zum ersten Mal. »O, du Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört (beiläufig) nicht hierher ...« Ich rührte mich nicht, als das letzte »Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!« verklungen war.
Steffen stupste mich sanft an, und ich folgte ihm in den Merz-Bau. Ich liebe diesen Raum. Er ist zwar winzig klein, aber auf wunderbare Weise weit, weil er so viel Platz für Phantasie lässt. Ich stelle mir immer vor, hier zu leben, die zahllosen Wände, Flächen und Vorsprünge mit meinem Kram zu füllen. »Schön hier, nicht?« Ich wandte mich zu Steffen um.
Er stand ganz dicht vor mir. Verdammt, er war groß. Einen Dirk Nowitzki mochte er nicht beeindrucken, aber ich wurde schwach, ich sank ihm entgegen.
Wie buchstabiert man Merz? »Mein eindrucksvollster, radikalster Zungenkuss«? Nie war ich so geküsst worden. Das war freier Fall pur.
Ich landete sanft, aufgefangen in einem braunen Blick, umtanzt von grünen Pünktchen. Die Wände standen noch ebenso schief wie zuvor, die Winkel kippten noch immer spitz in den Raum, die Linien stürzten nach wie vor gewagt aufeinander zu, kurz, die Ordnung der Welt war nicht im Geringsten erschüttert.
Steffen sagte kein Wort. Er hielt mich fest und schaute mich an. Plötzlich standen die grünen Pünktchen ganz still.
Irgendwann lockerte er die Umarmung, führte mich zum Ausgang. Im Gehen schob ich meinen Arm unter seine Lederjacke, legte sie um seine Taille.
Vor dem Anna-Blume-Plakat blieben wir noch einmal stehen. »Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört (beiläufig) in die Glutenkiste«, las Steffen, seine Stimme klang wie eingerostet.
»Komm, lass uns etwas essen gehen«, sagte ich. Meine Stimme klang nicht besser. Und Hunger hatte ich auch nicht.
Als wir im Restaurant saßen – wir hatten Glück und ergatterten einen Fenstertisch, von dem wir einen Blick auf den wintergrauen Maschsee hatten –, kroch allmählich die Normalität zurück. Geschirr klapperte, neben uns unterhielten sich die Gäste, die Kellnerin brachte die Karten und fragte nach unseren Getränkewünschen. Gerade Wände, rechte Winkel, weiße Tischtücher taten ein Übriges.
»Ich denke, ich nehme das Zanderfilet vom Grill mit schwarzen Spaghetti und Kräutersauce, das klingt gut«, sagte Steffen nach einem ausgiebigen Studium der Karte. Seine Stimme war wieder glatt, wie frisch geölt. »Und du?«
»Mich reizt das Mittelmeerfischragout, da ist alles dabei, was ich mag, vor allem Seeteufel und Meeresfrüchte.«
»Hm, damit hatte ich auch geliebäugelt. Aber ich bleibe bei dem Zander, dann können wir beide beides probieren. Und Antipasti misti vorweg?«
»Liebend gern.« Plötzlich hatte ich einen Riesenhunger.
»Gut. Und was trinken wir?« Steffen blätterte sich zur Weinkarte durch. »Was hältst du von einem Vernaccia di San Gimignano?«
»Aber wir müssen doch noch
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