Herr Bofrost, der Apotheker und ich
Miss-Marple-mäßig, bloß ohne Morde. Einfach nur gemütlich.«
Laura legte ihre Gabel auf den Teller und rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. »Lena, ich muss dir was sagen.« Sie tupfte sich sittsam die Lippen mit der Serviette ab, nahm einen großen Schluck Wein und schaute mich aus dunkelgrünen Augen an. »Ich ... ich ... ich habe mich verliebt!«, stieß sie hervor.
Ach, du je! Nicht schon wieder! »Wer ist es denn jetzt? Dein Chef?«
Laura kicherte. »Der ist sechzig und zweifacher Großvater! Und so dick wie hoch! – Nein, nein, diesmal habe ich mir einen ausgesucht, der noch nicht verheiratet ist, Single, keine Kinder.« Sie blitzte mich triumphierend an.
»Aber er weiß noch nicht, dass du existierst«, riet ich. Irgendwo musste ja der Haken sein.
»Doch!« Sie funkelte mich an.
»Aber er liebt nicht dich, sondern seine Oldtimer-Sammlung.«
»Er liebt mich. Und ...« Sie klang ratlos. Hastig kippte sie den Rest ihres Weins hinunter. »Lena, ich bin total happy, nur ...« Sie richtete sich auf. »Scheiße, Lena, es ist – Max.«
»Max? Welcher Max?« Dann dämmerte es mir. »Was?! Mein Max?«
Laura nickte verlegen.
Sie hatte sich in Max verliebt! Die beiden – ausgerechnet! Und ich hatte sie zusammengebracht. Das war ja ...
»Laura, echt?«
Laura nickte wieder. Sie wagte nicht, mich anzusehen.
Zu Recht! Das hatte sie mir verschwiegen?
»Lena, es tut mir so Leid, aber ... es ... es ist einfach passiert!«
»Aha. Und wann, wenn ich fragen darf?«
Sie druckste. »Vor zehn Tagen. Max hat mich angerufen, und wir sind zusammen essen gegangen, und dann ... dann ...« Der Satz versickerte – in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Scham. Laura griff schon wieder nach ihrem Glas. Ich hielt ihre Hand fest. Kam ja gar nicht infrage, dass sie sich jetzt einen ankümmelte, bevor sie mir nicht jede Einzelheit der letzten Woche erzählt hatte! – »Mensch, Laura, was denkst du eigentlich? Ich find's großartig! Du und Max? Das ist doch das Beste, was dir je passieren konnte! Und mir dazu! Endlich hast du mal einen Freund, mit dem ich leben kann!«
Laura starrte mich völlig perplex an. »Du findest das ... gut ?«
»Na, Mensch, und wie! Ich wäre zwar im Leben nicht darauf gekommen, aber ich find's ... genial !«
»Echt? – Ich hatte Angst, du könntest ...«
»Was?«
Laura zuckte verlegen mit den Schultern. »Na ja, dass du eifersüchtig bist.«
Ich verschluckte mich fast. »Eifersüchtig? Auf wen?«
»Ich dachte. – Auf mich. Weil ... na ja, ich habe befürchtet, du ... du wärst auch an ihm interessiert.«
Vorsicht, Lenchen, nicht lachen! Laura fände es bestimmt kein bisschen komisch, wenn ich ihr erzählte, wie grotesk ich den Gedanken fand, mit Max ins Bett zu steigen. Sie wäre vielleicht sogar regelrecht beleidigt.
»Laura, ich liebe ihn! Er ist wunderbar! Aber ich war keinen Moment lang an ihm interessiert!«
»Ach nee? Und warum nicht?« Sie war beleidigt. Das vergaß sie allerdings sofort wieder, weil sie viel zu sehr darauf brannte, mir die Einzelheiten der letzten Tage zu berichten. So schön, so glücklich hatte ich sie lange nicht gesehen.
* * *
Nachts wachte ich auf. Und noch bevor ich so recht wusste, wo ich war, spürte ich, wie kalte Angst zu mir ins Bett kroch. Wie ein fieses, haariges Tier, das sich auf meine Brust drückte. Reglos lag ich da, starrte ins Dunkel. Ich war glockenwach. Und grotteneinsam. Allein. Für immer. Kein Holger mehr, an den ich mich nachts schmiegen konnte, wenn die Einsamkeit nach mir griff. Ich zog das Kopfkissen über die Ohren und kringelte mich ganz klein ein. Ich schloss die Augen ganz fest und dachte an den großen, schwarzen Punkt auf meiner Was-ich-tun-muss-Liste: mit Holger sprechen.
Holger. Dem guten, alten Holger. Sperrig, grummelig, vertraut. So vertraut. Wie fühlte er sich wohl, so ganz allein? Verlassen zurückgelassen in dem Heim, das er mit einer Familie hatte bevölkern wollen. Ich stellte mir vor, wie er abends aus der Apotheke kam, in ein dunkles, schweigendes Haus mit halb leeren Schränken, einem gespenstischen Hohlraum unter dem Dach. Das einzige Geräusch der unentwegt tropfende Wasserhahn in der Küche. Ab und zu das Summen des Kühlschranks, und sonst nur Stille, die einen fast erdrückte.
Irgendwann schlief ich wieder ein. Ich träumte wirr und schreckte hoch. Mein Herz klopfte wild, und die Nacht war immer noch sehr schwarz. Und ich sehr allein. Ein Lachen auf der Straße, laute Stimmen,
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