Herr Bofrost, der Apotheker und ich
unverständlich aus der Ferne, allmählich verhallten sie. Ein Auto, das irgendwo auf der Straße hielt, in tuckerndem Leerlauf. Eine Tür schlug zu. Kavaliersstart. Dann Ruhe. Nur das ferne Rauschen des Verkehrs. Ein Martinshorn heulte auf. Ein Notfall, eine alte Frau vielleicht, das Herz erlahmt nach einem langen Leben, oder ein Besoffener, vor ein Auto getorkelt. Möglicherweise auch nur ein Einbruch, geglückt oder gescheitert. Oder eine Prügelei, irgendwo.
Ich kroch tiefer unter die Decke und versuchte, der Stadt und meiner Phantasie zu entfliehen. Plötzlich sehnte ich mich nach dem Rascheln der Bäume zu Hause vor meinem Fenster. Ich vermisste die sanfte Stille ungestörter Nächte. In der ersten Zeit hatte ich in Hameln nicht schlafen können – eben wegen der Stille. Damals hatte ich ernsthaft überlegt, ein Taxi zu bestellen und es vor unserem Haus hin und her fahren zu lassen, so sehr hatten mir die vertrauten Geräusche der Großstadt gefehlt.
Nun aber machte mir das Rauschen der Stadt meine Einsamkeit erst bewusst. Ich gehörte nicht dazu, ich war nicht Teil dieser Stadt. Ich gehörte nirgendwo dazu. Was würde mich erwarten? Ewige Einsamkeit? Ein Still-Leben mit Katze und DVD-Player?
O Gott! Das konnte es doch nicht sein, oder?
Und wenn ich es doch noch einmal mit Holger versuchte? So schrecklich war unser Leben doch nicht gewesen, wir hatten doch auch frohe, strahlende Tage gehabt, voller Leichtigkeit und Lachen. – Und war es nicht überhaupt maßlos übertrieben, sich nur wegen dieser paar Handwerker scheiden zu lassen? Hatte ich nicht völlig überzogen reagiert – impulsiv, egozentrisch, intolerant? Gut, natürlich war es gemein von Holger gewesen, mich so zu überrumpeln, anstatt das alles vorher mit mir abzusprechen, aber hatte ich wirklich gleich in den nächsten Fluchtwagen hechten müssen?
Ach, Scheiße, ich war auch nicht einfach! Viel zu spontan, zu aufbrausend, zu feige, Warum hatte ich nicht die Auseinandersetzung gesucht? Wäre ich nur ein klein wenig geduldiger und besonnener gewesen, hätten wir in einem ruhigen Gespräch alles klären können. Stattdessen hatte ich mich mal wieder benommen wie die Axt im Walde! Hatte von einer Sekunde auf die andere mein Leben mit Holger in die Tonne getreten. Ein Leben, das ich doch gewollt hatte, das mir einmal gepasst hatte wie eine zweite Haut.
Mir war heiß. Ich stieß die Decke mit den Füßen weg. Nackt lag ich unter dem geöffneten Fenster und schnappte nach Luft. Ich atmete durch, gleichmäßig. Langsam beruhigte ich mich. Ein Herzinfarkt, der hätte mir jetzt gerade noch gefehlt!
Gab es ein Zurück? Was war denn schon geschehen? – Ein kleiner Krach, wie er alle Tage in unzähligen Ehen vorkam, mehr doch eigentlich nicht. Eine Meinungsverschiedenheit, die mit ein bisschen Reue meinerseits und Nachsicht seinerseits rasch beizulegen war.
Genau! Das würden wir tun! – Ich stieß das fiese, haarige Tier von meiner Brust und atmete freier.
Und obwohl es draußen schon hell wurde, schlief ich noch einmal ein. Tief und fest. Ich wachte erst auf, als Laura mir einen Kaffee ans Bett brachte.
Sie war putzmunter. »Max und ich haben gerade beschlossen, ins Alte Land zu fahren. Hast du Lust mitzukommen?«
Als drittes Rad am Tandem? Nee, vielen Dank! – Das war auch so was. Ich würde immer, immer der lästige Single sein, wenn ich hier bliebe. Ich konnte mir denken, wie das gelaufen war. Bestimmt hatte Laura zu Max gesagt: »Aber wir müssen Lena mitnehmen. Sie ist doch ganz allein!« Und Max hat widerwillig nachgegeben: »Ja, wir können sie wohl nicht allein lassen, die Arme. Also bring sie in Gottes Namen mit.«
»Lieb, dass du fragst, Laura«, sagte ich. »Aber fahrt nur allein. Ich möchte gern ein bisschen für mich sein, das brauche ich jetzt. Ehrlich.«
»Ehrlich?«
»Ja, ganz bestimmt. Fahrt ihr mal ganz entspannt los und macht euch um mich keine Sorgen. Ich komme bestens klar.«
»Na gut – wenn du meinst.« Laura klang zögerlich, aber – ich hatte es doch gewusst! – auch verdammt erleichtert.
»Genießt den Tag«, sagte ich. »Und grüß Max!«
Ich fragte mich, warum ich ihr nicht gesagt hatte, dass ich nach Hameln zurückfahren wollte. Spätestens morgen musste ich es ihr ja doch erklären. Aber dann war ich wenigstens schon außerhalb ihrer Reichweite. Ich wollte meine Entscheidung nicht diskutieren, denn ich vermutete, Laura würde sie nicht verstehen.
* * *
Ich frühstückte im ICE. Mit gesundem Appetit. Ich
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