Herr Bofrost, der Apotheker und ich
ungläubig.
Ich rührte mich nicht. War er tot? Hoffentlich! – Hoffentlich nicht! Dann hätten wir eine Menge Scherereien. »Du verdammte Hexe!«, kam es von unten. Er stöhnte vor Schmerz. Dann war er also nicht tot. »Du hast mir die Schulter gebrochen! Das wird ein Nachspiel haben!«
»Schon mal was von Unverletzlichkeit der Wohnung gehört, du Schlappschwanz?« Nina blickte kalt auf ihn herab. Sie gab ihm einen Stoß mit dem Fuß. »Los, verpiss dich, oder ich rufe die Bullen!« Wenn sie wollte, konnte sie herrlich ordinär sein.
Laura zog die Bettdecke enger um sich und grinste. Ich hätte am liebsten Beifall geklatscht.
»Ich kann nicht«, jammerte Holger. »Laura muss mich behandeln, schließlich ist sie Ärztin!«
»Ich bin Gynäkologin. Mit Männern kenne ich mich nicht aus«, erklärte Laura vergnügt. »Außerdem – stell dich nicht so an!« Der Eid des Hippokrates interessierte sie im Moment nicht die Bohne. Oder sie war der Meinung, dass er nicht für Bluthunde galt, mochten sie sich auch wimmernd am Boden winden.
Holger wand sich nicht lange. Als Erstes tauchte sein Haarschopf in meinem Blickfeld auf, ungekämmt und wirr, höchst untypisch. Dann sein Gesicht, valium- und schmerzgezeichnet. Der Mann hatte in den letzten vierzehn Stunden unverkennbar schwere Rückschläge erlitten, die tiefe Furchen, bleiche Blutleere und einen geradezu hektischen Bartwuchs hinterlassen hatten. Und in den Augen stand wilde, mordlüsterne Verzweiflung. Doch solange der Kerzenständer in Ninas Faust schaukelte, verspürte ich keine Angst. Keine diebische Freude – das nun auch wieder nicht, nur die Genugtuung, die ein Mensch eben empfindet, wenn schließlich doch – spät genug! – ausgleichende Gerechtigkeit waltet.
Holger hatte sich inzwischen zu seiner vollen Größe aufgerichtet, allerdings beeinträchtigte eine gewisse Schieflage die Imposanz seiner Erscheinung. Außerdem schwankte er ein wenig. Was ihn nicht hinderte, finstere Blicke auf Nina und Laura abzufeuern. Blicke wie flammende Schwerter, die durch den Raum blitzten, Laura und Nina allerdings völlig unbeeindruckt ließen.
»Glaubt bloß nicht, ihr hättet gewonnen!«, stieß der angekratzte Bluthund hervor. »Ich finde sie! Und dann mache ich Hackfleisch aus ihr! Und aus euch auch!« Damit taumelte er in Richtung Tür.
Nina trat zur Seite. In ihren Mundwinkeln tanzte ein unterdrücktes Lachen, und sie hob die Brauen. »Und dich habe ich für einen langweiligen Kleinstadt-Apotheker gehalten! Aber du kannst ja richtig kläffen! Wir sind beeindruckt!« Spott hüpfte durch ihre Stimme wie ein übermütiges Teufelchen.
Holger blieb stehen und beugte sich zu ihr hinunter. Er starrte sie an.
Nina bewegte fast unmerklich die Hand, in der sie den Kerzenständer hielt.
Holger wich ein wenig zurück.
»Holger, du kleiner Terrier, geh einfach«, sagte Nina verächtlich.
Ich biss mir vor Vergnügen in die Fingerknöchel.
Und Holger ging. Ganz blöd war er ja nicht. Sogar er begriff, dass es nun an der Zeit war, die Kurve zu kratzen, wollte er dies einigermaßen würdevoll tun und nicht noch einmal niedergestreckt werden. Ich lauschte seinen schlurfenden Schritten nach.
Mit jedem seiner Schritte wurde mir leichter. Es war, als nähme er meine Lasten, meine Bedrückungen mit sich fort. Und die Reste meiner Liebe dazu.
Ich war frei! Eingezwängt in einen dunklen, staubigen Schrank, halb nackt, mit steifen Gliedern und tauben Beinen, aber frei. Frei vom Mitleid, frei vom Mit-Leiden. Sollte er doch allein neben dem tropfenden Wasserhahn in der Küche versauern, erdrückt von der Stille ringsum. Es ging mich nichts mehr an. Holger war Holger, und ich war ich. Hallelujah!
»So! Der kommt nicht wieder«, stellte Nina zufrieden fest, als wir wenig später um den Terrassentisch saßen und frühstückten.
»Meinst du?« Ich fühlte mich etwas unbehaglich hier draußen. Ich traute es Holger glatt zu, mit Brachialgewalt durch die Rosenhecke zu brechen, um seine Besitzrechte einzufordern.
»Er hat uns bestimmt nicht geglaubt, dass du nicht hier bist«, meinte Katharina. »Aber ich denke auch, dass er sich hier nicht wieder hertraut.« Sie warf Nina einen amüsierten Blick zu. »Wahrscheinlich wird er euch vor Lauras Wohnung auflauern. Also bleibst du erst einmal hier!«
»Wenigstens, bis er sich abgeregt hat. Dann kannst du immer noch nach Hamburg fahren«, sagte Nina, der nicht entgangen war, dass Laura und ich einen enttäuschten Blick gewechselt hatten.
In
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