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Herr der Daemmerung

Herr der Daemmerung

Titel: Herr der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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waren mit juwelenähnlichen Farben und rauen Texturen bemalt. Vor den meisten Türen hingen überdimensionierte Schlösser.
    Ich vermisse es nicht, sagte Jez sich. Aber jede Ecke brachte einen Schock der Erinnerung mit sich. Morgead hatte jahrelang hier gelebt, seit seine Mutter mit irgendeinem Vampir aus Europa davongelaufen war. Und Jez hatte praktisch ebenfalls hier gelebt, weil dies das Hauptquartier der Gang gewesen war.
    Wir hatten gute Zeiten ...
    Nein. Sie schüttelte schwach den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben, und setzte ihren Weg fort, schlüpfte lautlos durch die Gänge und bewegte sich immer tiefer und tiefer in das Gebäude hinein. Schließlich kam sie zu einer Stelle, wo kein Geräusch mehr zu hören war, nur das Summen der nackten Leuchtstoffröhren unter der Decke. Die Wände schienen hier enger zusammenzustehen. Der Ort verströmte ein Gefühl von Isolation, das Gefühl, weit entfernt vom Rest der Welt zu sein.
    Und eine einzige schmale Treppe führte nach oben.
    Jez hielt inne, lauschte einen Moment lang und nahm dann, ohne die Treppe aus den Augen zu lassen, das lange Bündel vom Rücken. Sie wickelte es vorsichtig aus, und zum Vorschein kam ein Stock, der ein wahres Kunstwerk war. Er war knapp über einen Meter zwanzig lang und maß zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser. Das Holz war von einem dunklen, glänzenden Rot mit unregelmäßigen, schwarzen Markierungen, die aussahen wie Tigerstreifen oder Hieroglyphen.
    Schlangenholz. Eins der härtesten Hölzer der Welt, dicht und stark, aber mit genau dem richtigen Maß an Widerstandskraft für einen Kampfstock. Eine auffällige und individuelle Waffe.
    Noch etwas war ungewöhnlich an dem Stock. Kampfstöcke waren normalerweise an beiden Enden stumpf, damit die Person, die sie benutzte, sie festhalten konnte. Dieser hatte ein stumpfes Ende und eins, das zu einer schmalen Spitze zusammenlief. Wie ein Speer. Die Spitze war hart wie Eisen und extrem scharf.
    Sie konnte Kleidung aufschlitzen, um in das Herz eines Vampirs einzudringen.
    Jez hielt den Stock einen Moment lang mit beiden Händen fest und schaute darauf hinab. Dann richtete sie sich auf und hielt ihn zum Kampf bereit. Sie ging die Treppe hinauf.
    »Ob du darauf vorbereitet bist oder nicht, Morgead, hier komme ich.«

 
     
Kapitel Sieben
     
    Sie trat auf das Dach hinaus.
    Hier befand sich eine Art Dachgarten - jedenfalls eine Menge dürrer Pflanzen in großen Holztöpfen. Außerdem sah sie schmutzige Terrassenmöbel und andere Kleinigkeiten. Aber das Augenfälligste war ein kleines Bauwerk, das auf dem Dach thronte wie ein Haus auf einer Straße.
    Morgeads Zuhause. Das Penthouse. Es war so nüchtern und reizlos wie der Rest des Gebäudes, aber es hatte eine großartige Aussicht, und man war absolut ungestört. Es gab keine anderen hohen Gebäude in der Nähe, die es überragten.
    Jez bewegte sich verstohlen auf die Tür zu. Ihre Füße machten kein Geräusch auf dem löchrigen Asphalt des Daches, und sie befand sich in einem Zustand von schmerzhaft erhöhter Wachsamkeit. In alten Zeiten war es ein Spiel gewesen, sich an ein anderes Gangmitglied heranzuschleichen. Man konnte den Betreffenden auslachen, wenn man es schaffte, ihn zu erschrecken, und er war dann wütend und gedemütigt.
    Heute war es kein Spiel.
    Jez ging auf die verbogene Holztür zu - dann blieb sie stehen. Türen bedeuteten Ärger. Morgead wäre ein Idiot gewesen, hätte er sie nicht mit einer Alarmanlage ausgestattet, die ihn auf Eindringlinge aufmerksam machte.
    Wie auf Katzenpfoten schlich sie stattdessen auf eine schmale Metallleiter zu, die zu dem Dach des hölzernen Penthouses führte. Jetzt war sie wirklich ganz oben angelangt. Das einzige, was noch höher war, war ein Fahnenmast ohne Fahne.
    Sie bewegte sich lautlos. Am gegenüberliegenden Dachrand schaute sie vier Stockwerke direkt nach unten, und gleich unter ihr war ein Fenster.
    Ein offenes Fenster.
    Jez lächelte angespannt.
    Dann hakte sie ihre Fußspitzen hinter die zehn Zentimeter hohe Rinne am Rand des Daches und ließ sich anmutig vorwärts fallen. Sie stoppte ihren Schwung, indem sie sich am oberen Rand des Fensters festhielt, und blieb dort eine Weile - der Schwerkraft trotzend - wie eine Fledermaus hängen. Sie schaute ins Zimmer.
    Morgead war da. Er schlief. Er lag auf dem Rücken auf einem Futon, voll bekleidet mit Jeans, hohen Stiefeln und einer Lederjacke. Er sah gut aus.
    Genau wie in alten Zeiten, dachte Jez. Als die Gang die ganze Nacht

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