Herr der Diebe
Venedig wissen, dass Victor Getz den Sohn von Dottor Massimo sucht. Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?« »Oh, das war nur so eine Eingebung.« Scipio hängte seinen Hut an Victors Garderobe und sah sich um. »Ziemlich eng«, stellte er fest.
»Tja, nicht jeder hat einen eigenen Brunnen und Decken, die fast so hoch wie die im Dogenpalast sind«, brummte Victor. »Aber mir und meinen Schildkröten reicht es.«
»Deine Schildkröten, ach ja.« Scipio schlenderte in Victors Büro und setzte sich auf einen der Besucherstühle. Victor ging in die Küche, um Salat für die Schildkröten zu holen.
»Hast du dich nicht gewundert, dass ich bei Barbarossas Laden so plötzlich vor dir stand?«, rief Scipio ihm nach. »Du bist auf der Accademia-Brücke an mir vorbeigelaufen, aber du warst so in Gedanken, dass du mich nicht bemerkt hast. Also habe ich beschlossen, dich zu beschatten. Zum Spaß. Gib zu, du hast nichts gemerkt. Das beweist doch wohl, dass ich ein erstklassiger Detektiv wäre.«
»Gar nichts beweist das«, brummte Victor und hockte sich neben den Schildkrötenkarton. »Das beweist nur, dass du dir Wunder weiß was Aufregendes unter dem Detektivberuf vorstellst. Aber meistens ist es langweilig.«
Victor warf den Schildkröten den Salat hin und richtete sich wieder auf. »Außerdem kann ich nicht viel bezahlen.«
»Macht nichts. Ich brauch nicht viel.«
»Du wirst dich langweilen.«
»Das werden wir sehen.«
Mit einem Seufzer ließ Victor sich in seinen Schreibtischstuhl sinken. »Dein Name kommt nicht auf mein Schild.« Scipio zuckte die Achseln. »Ich brauche sowieso einen neuen. Oder glaubst du, ich laufe in Venedig weiter als Scipio Massimo herum?«
»Gut, dann die letzte Bedingung.« Victor fischte ein Lutschbonbon aus seiner Schreibtischschublade und schob es sich in den Mund. »Du schreibst deinem Vater.«
Scipios Gesicht verfinsterte sich. »Was soll ich dem schreiben?« Victor zuckte die Achseln. »Dass es dir gut geht. Dass du nach Amerika auswandern willst. Dass du in zehn Jahren wieder mal bei ihm vorbeikommst. Irgendwas wird dir schon einfallen.«
»Verdammt!«, murmelte Scipio. »Na gut, ich werde es tun. Wenn du mir beibringst, ein Detektiv zu sein.« Seufzend verschränkte Victor die Hände hinter dem Kopf. »Willst du nicht lieber Barbarossas Laden übernehmen?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ida und ich suchen noch jemanden. Du bekämest die Hälfte der Einnahmen. Die andere Hälfte müsstest du dem Rotbärtchen in seine neue Heimat schicken. So haben wir es mit ihm abgemacht.«
Aber Scipio rümpfte die Nase.
»Den ganzen Tag in einem Laden stehen und Barbarossas Gerümpel verkaufen? Nein danke. Da gefällt mir meine Idee viel besser. Ich werde ein Detektiv, ein berühmter Detektiv, und du hilfst mir dabei.«
Was sollte Victor dagegen sagen?
»Na gut«, sagte er, »dann fängst du gleich morgen früh an. Und ich geh zu Ida frühstücken.«
Ein halbes Jahr später setzte Victor Scipios Namen doch auf sein Schild, wenn auch in etwas kleineren Buchstaben als seinen eigenen.
Keiner, nicht einmal Prosper, fragte Scipio je, ob er es bereute, auf das Karussell gestiegen zu sein, aber vielleicht war der neue Name, den er sich gab und auf Victors Schild setzen ließ, die Antwort: Scipio Fortunato, der vom Glück Begünstigte. Seinem Vater schrieb Scipio, wie mit Victor abgemacht, ab und zu eine Karte. Ohne dass Signor Massimo je ahnte, dass sein Sohn nur ein paar Gassen entfernt von ihm wohnte, in einer Wohnung, die kaum größer war als das Arbeitszimmer seines Vaters, und in der Scipio glücklicher war, als er es in der Casa Massimo je gewesen war. Ab und zu besuchte er Mosca und Riccio in ihrem Versteck in Castello. Meistens ließ er ihnen etwas Geld da, obwohl sie ganz gut zurechtzukommen schienen. Wie viel von dem Falschgeld des Conte noch übrig war, wollten sie Scipio nicht erzählen. »Schließlich bist du jetzt ein Detektiv«, sagte Riccio. Mosca hatte sich Arbeit bei einem Lagunenfischer gesucht, aber Riccio – nun ja, bei dem vermutete Scipio, dass er sich doch wieder aufs Stehlen verlegt hatte.
Wespe, Prosper und Bo sah Scipio öfter. Mindestens zweimal in der Woche besuchte er sie und Ida zusammen mit Victor. Eines Abends, es wurde schon wieder Herbst, beschlossen Scipio und Prosper, noch einmal zur Isola Segreta zu fahren. Ida lieh ihnen ihr Boot, und diesmal verfuhr Scipio sich nicht auf der Lagune. Die Insel sah unverändert aus. Die Engel standen immer noch auf der Mauer, aber am
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