Herr der Diebe
mit beiden Händen hinein und stellte sich mit ausgestreckten Armen auf die Piazza. »Putt, puttputtputt!«, gurrte er und setzte sein harmlosestes Lächeln auf. »Kommt her, ihr kleinen Scheißer. Aber wehe, ihr kackt mir die Ärmel voll.«
Und sie kamen. Natürlich. Ein ganzer Schwarm Tauben erhob sich, eine Wolke aus grauen Federn und gelben Schnäbeln. Flügelschlagend schwenkten sie auf Victor zu und ließen sich auf ihm nieder, auf seinen Schultern, seinen Armen, sogar auf seinem Kopf, wo sie neugierig an seiner Mütze herumpickten. Angenehm war das nicht. Victor musste zugeben, er hatte etwas Angst vor allem, was flatterte und spitzschnabelig pickte. Aber wie sonst erregte man die Aufmerksamkeit eines fünf Jahre alten Jungen? Also lächelte Victor, gurrte und puttete – und beobachtete die Kinder am Brunnen. Der Igelkopf hockte inzwischen schmollend ein Stück entfernt und starrte mit finsterer Miene in das Menschengetümmel. Das Mädchen steckte den Kopf in ein Buch. Und Bo langweilte sich. »Guck hierher, Kleiner!«, flüsterte Victor, während ihm die Tauben auf dem Kopf herumtrippelten. »Na los, guck schon rüber zu dem albernen Kerl, der nur für dich die Vogelscheuche spielt.« Bo zupfte an seinen gefärbten Haaren, rieb sich die Nase, gähnte – und dann, plötzlich, entdeckte er Victor. Victor, den Taubenständer. Bo warf dem Mädchen einen schnellen Blick zu, sah, dass sie völlig in ihr Buch vertieft war, und rutschte vom Brunnenrand. Na endlich! Victor stöhnte erleichtert auf und füllte die leer gepickten Hände mit neuen Körnern. Zögernd kam Bo auf ihn zugeschlendert. Sah sich ab und zu noch mal zu den anderen beiden um, schob sich an drei Mädchen vorbei, die kreischend ein paar Tauben aus ihren Haaren scheuchten – und blieb mit schief gelegtem Kopf vor Victor stehen.
Als die Taube auf Victors Kopf den Hals beugte und mit dem Schnabel gegen die Gläser seiner falschen Brille pickte, kicherte Bo. »Buon giorno«, sagte Victor und scheuchte das freche Vieh von seinem Kopf. Gleich ließ sich die nächste Taube darauf nieder.
Bo kniff die Augen zusammen und legte den Kopf auf die andere Seite. »Tut das weh?«
»Was?«
»Na, die Krallen. Und wenn sie an deiner Brille pickt.« Das Italienisch, das der Kleine sprach, klang fast so gut wie Victors. Vielleicht sogar besser.
Victor zuckte die Schultern, die Tauben flatterten hoch – und ließen sich wieder nieder. »Ach«, brummte er. »So schlimm ist das nicht. Ich mag es, wenn sie so um mich herumflattern.« Was für eine dicke, fette, dreimal dreiste Lüge. Aber im Lügen war Victor schon immer gut gewesen. Schon als kleiner Junge. Als kleiner, viel zu kurz geratener Junge waren Lügen seine besten Freunde gewesen. »Weißt du«, sagte Victor, während Bo ihn musterte, »wenn all die Flügel um mich herumflattern, dann stelle ich mir vor, dass ich auch gleich losfliege. Bis rauf zu den goldenen Pferden da.« Bo drehte sich um und sah hinauf zu den stampfenden Hufen über dem Portal der Basilika. »Ja. Die sind toll, nicht? Ich würde so gern mal auf einem drauf sitzen. Wespe sagt, sie mussten ihnen die Köpfe abschneiden, um sie herzubringen. Als sie sie gestohlen hatten. Und dann haben sie sie ihnen verkehrt rum wieder angeklebt.«
»Ach ja?« Victor musste niesen, weil ihm eine Feder in die Nase geflogen war. »Ich finde, sie sehen eigentlich ganz richtig aus. Aber es sind sowieso Kopien. Die echten stehen längst im Museum, damit die Salzluft sie nicht noch mehr zerfrisst. Magst du Tauben?«
»Nicht besonders«, antwortete Bo. »Wegen dem Geflatter. Außerdem sagt mein Bruder, dass man Würmer kriegt, wenn man sie anfasst.« Er kicherte. »Jetzt hat dir eine auf die Schulter gekackt.«
»Verdammte Viecher!« Victor riss die Arme so ärgerlich hoch, dass die Tauben davonflatterten. Fluchend wischte er sich mit einer alten Serviette den Vogeldreck von der Schulter. »Dein Bruder sagt das? Der scheint ja richtig gut auf dich aufzupassen.«
»Ja. Aber manchmal passt er ein bisschen viel auf.« Bo sah hoch zu den kreisenden Tauben, dann warf er einen Blick zurück zum Löwenbrunnen, wo das Mädchen immer noch in ihrem Buch las und der Igelkopf mit der Hand in dem schmutzigen Brunnenwasser herumrührte. Beruhigt drehte er sich wieder zu Victor um. »Kann ich auch ein bisschen Futter haben?«
»Sicher.« Victor griff in die Tasche und streute ihm ein paar Körner in die kleine Hand.
Vorsichtig streckte Bo den Arm aus – und zog erschrocken den
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