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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Funke Cornelia
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in seinem Reich, beschützt von Löwen und Drachen und vom Wasser, das ihn umgab. Esther hasste Wasser, sie hatte Angst, auch nur ein Boot zu besteigen. Und trotzdem war sie gekommen und hatte Bo geholt. Und nun war Prosper kein König mehr, nun war er nur noch ein Garnichts, zu klein, zu schwach, ein Bettler in seiner Stadt, vertrieben aus seinem Palast und seines Bruders beraubt. Prosper wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Als er ein Motorboot den Kanal herunterkommen hörte, duckte er sich und wartete darauf, dass es vorbeifuhr. Aber es fuhr nicht vorbei. Das Motorengeräusch verstummte, Prosper hörte jemanden leise fluchen und dann stieß etwas gegen Idas Boot. Erschrocken lugte er über den Bootsrand.
Scipio schob die dunkle Maske hoch und lächelte so erleichtert, dass Prosper für einen Moment vergaß, warum seine Augen voller Tränen waren.
»Sieh einer an«, sagte der Herr der Diebe. »Wenn das kein Glück ist! Weißt du, dass ich hier bin, um dich abzuholen?«
»Abholen? Wohin?« Prosper kam verdutzt auf die Füße. »Wo hast du das Boot her?« Es war ein schönes Boot, aus dunklem Holz, verziert mit goldenen Ornamenten. »Gehört meinem Vater«, antwortete Scipio und klopfte auf das Holz, als tätschelte er einem edlen Pferd die Flanke. »Ist sein ganzer Stolz. Ich hab es mir ausgeliehen, und soeben hat es den ersten Kratzer abbekommen.«
»Woher weißt du, dass wir hier sind?«, fragte Prosper und beugte sich besorgt über die Bootswand, aber er konnte an Idas Boot keinen Kratzer entdecken. »Mosca hat mich angerufen.« Scipio blickte zum Mond hinauf. »Er hat mir erzählt, dass der Conte uns betrogen hat. Und Bo soll bei deiner Tante sein. Stimmt das?«
Prosper nickte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Er wollte nicht, dass Scipio merkte, dass er geweint hatte. »Tut mir Leid.« Scipios Stimme klang belegt. »Es war dumm, ihn und Wespe allein zu lassen, was?«
Prosper antwortete nicht, obwohl er denselben Gedanken schon mindestens hundert Mal gehabt hatte. »Prop?« Scipio räusperte sich. »Ich fahr noch mal raus zur Isola Segreta. Kommst du mit?« Entgeistert sah Prosper ihn an. »Der Conte hat uns betrogen!« Scipio senkte die Stimme, als könnte sie jemand belauschen. »Er hat uns reingelegt. Entweder er gibt mir das Geld, aber diesmal echtes, oder er lässt mich auf dem Karussell fahren. Es ist auf der Insel, ganz bestimmt!« Prosper schüttelte den Kopf. »Du glaubst doch nicht wirklich an die Geschichte, oder? Vergiss sie und vergiss auch das Geld, wir haben uns eben reinlegen lassen. Pech. Was hilft es, noch darüber nachzugrübeln? Die anderen haben es auch abgeschrieben. Riccio überlegt schon, wie er das Falschgeld unter die Leute bringt. Aber zu der verfluchten Insel würde keiner noch mal fahren, nicht mal für eine Tasche voll echtem Geld.«
Scipio sah ihn an und spielte mit dem Band seiner Maske. »Ich würde hinfahren«, sagte er. »Mit dir zusammen. Ich will auf diesem Karussell fahren, und wenn der Conte mich nicht lässt, dann hol ich mir den Flügel zurück. Komm mit, Prop, ja? Was hast du noch zu verlieren, jetzt, wo Bo weg ist?«
Prosper musterte seine Hände. Kinderhände. Er dachte an den herablassenden Blick, mit dem ihn der Portier im Gabrielli Sandwirth gemustert hatte, und an seinen schrankgroßen Onkel, wie er neben Bo hergegangen war, die Hand besitzergreifend auf Bos schmaler Schulter. Und plötzlich wünschte Prosper sich, dass Scipio Recht hatte. Dass dort draußen auf dieser unheimlichen Insel etwas auf sie wartete, das aus klein groß und aus schwach stark machte. Und dieser Wunsch machte sich breit in der Leere, die sein Herz erfüllte. Ohne ein weiteres Wort sprang er hinüber in Scipios Boot.

Es war eine dunkle Nacht. Immer wieder verschwand der Mond hinter den Wolken. Obwohl Scipio seinem Vater eine Seekarte gestohlen hatte, nach der sie sich richten konnten, kamen sie zweimal vom Weg ab. Beim ersten Mal brachte sie der Anblick der Friedhofsinsel auf den richtigen Kurs zurück, und als Murano aus der Nacht auftauchte, wussten sie, dass sie zu weit nach Westen gefahren waren. Dann endlich, als sie schon so durchgefroren waren, dass sie kaum noch ihre Finger spürten, tauchte aus der Nacht die Mauer der Isola Segreta auf, bleichgrau vom Laternenlicht. Die steinernen Engel blickten zu ihnen herüber, als hätten sie sie erwartet. Scipio drosselte den Motor. Das Boot des Conte schaukelte mit eingezogenem Segel am Steg, und Prosper

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