Herr Der Fliegen
Gestalten ameisengleich umherliefen.
Ralph beschrieb mit der Hand eine gewundene Linie, die von dem kahlen Plateau, auf dem sie standen, hinabführte über einen Hang, durch eine Schlucht, durch Blumen, bis zu dem Felsen, bei dem die Schneise begann.
»Das ist der kürzeste Rückweg.«
Ihre Augen glänzten, ihr Triumph überwältigte sie, und sie fühlten sich als Herrscher. Sie genossen den hohen Augenblick: waren Freunde.
»Kein rauch von einem Dorf zu sehen, keine Boote«, stellte Ralph fest. »Wir werden später mal genau nachsehen, aber ich glaub, die Insel ist unbewohnt.«
»Zu essen ist da«, rief Jack. »Und dann gehn wir auf Jagd und fangen uns was, bis wir abgeholt werden.«
Simon sah sie beide an, schwieg aber und nickte mit dem Kopf, daß sein schwarzes Haar ihm abwechselnd in die Augen und in den Nacken fiel: sein Gesicht glühte.
Ralph blickte nach der anderen Seite hinab, wo die Lücke im Riff war.
»Da ist’s steiler«, sagte Jack.
Ralph machte eine Bewegung, als wollte er etwas heraufholen. »Das Wäldchen da … da unten am Berg –« In jedem Winkel, jeder Ausbuchtung des Berges standen Bäume – Blumen und Bäume. Jetzt bewegte sich der Wald, rauschte und schwang. Über die Teppiche der Felsblumen in der Nähe strich die Brise und wehte den Jungen eine halbe Minute lang kühl in die heißen Gesichter.
Ralph breitete die Arme aus.
»Alles uns!«
Sie standen auf dem Berg und lachten und hüpften und schrien.
»Ich hab Hunger.«
Als Simon dies sagte, spürten auch die andern, daß sie hungrig waren. »Auf, los«, sagte Ralph, »wir haben ja jetzt rausgefunden, was wir wissen wollten.«
Sie stiegen über Blumen hinab und bahnten sich ihren Weg unter Bäumen. Dann machten sie halt und musterten neugierig die Büsche ringsum.
Simon sprach als erster.
»Wie Kerzen. Kerzenbüsche. Kerzenknospen.«
Es waren dunkelgrüne, stark riechende Büsche mit vielen wachsgrünen Knospen, die sich gegen das Licht zusammengerollt hatten. Jack schlug nach einer mit seinem Messer, und eine Duftwolke strömte über sie hinweg.
»Kerzenknospen.«
»Sie sind aber nicht zum Anzünden«, sagte Ralph. »Sie sehen bloß so aus.«
»Grüne Knospen«, meinte Jack verächtlich, »nichts zum Essen. Auf, weiter!«
Sie waren noch nicht weit in den Wald eingedrungen und tappten auf müden Füßen einen Pfad entlang, als sie Geräusche hörten – Quieken – und harten Hufschlag auf festgetrampeltem Boden. Sie schritten weiter, das Quieken wurde immer lauter, schließlich hörte es sich wie Geheul an. es war ein Ferkel, das sich in dem Schlingenteppich verfangen hatte und in höchster, wildester Angst an den elastischen Strängen zerrte. Sein Schrei war hell, nadelscharf, durchdringend. Die drei stürzten darauf zu, und Jack zog erneut schwungvoll sein Messer. Sein Arm reckte sich empor. Und dann ein Stocken, ein Stillstand – das Ferkel schrie weiter und riß an den Schlingen, und der erhobene Arm hielt immer noch die blitzende Klinge. Das Stocken dauerte gerade so lange, daß sie zu erkennen vermochten, welche Ungeheuerlichkeit der Stoß mit dem Messer bedeuten würde. Da riß sich das Ferkel los und verschwand eilends im Unterholz. Sie standen da und sahen einander an und starrten auf den Ort des Schreckens. Jacks Gesicht war weiß unter den Sommersprossen. er merkte, daß er immer noch die Klinge hochhielt, ließ den Arm fallen und steckte das Messer in die Scheide. Dann lachten sie alle drei verlegen und kletterten zum Pfad zurück.
»Ich hab grad die richtige Stelle zum Zustoßen ausgesucht«, sagte Jack. »Ich hab nur den richtigen Augenblick abwarten wollen.«
»Ein Schwein muß man abstechen«, sagte Ralph hitzig. »Man sagt doch immer, ein Schwein muß abgestochen werden.«
»Man muß dem Schwein die Kehle durchschneiden und das Blut herauslaufen lassen«, sagte Jack, »sonst kann man das Fleisch nicht essen.«
»Warum hast du dann nicht –?«
Sie wußten die Antwort wohl: weil es etwas Ungeheuerliches ist, wenn ein Messer niederfährt in lebendes Fleisch –, weil Blut unerträglich ist.
»Ich wollte ja grade«, sagte Jack. er ging voraus, und sie konnten sein Gesicht nicht sehen. »Ich hab die richtige Stelle gesucht. Das nächste Mal –!«
Er riß das Messer aus der Scheide und stieß es in einen Baumstamm. Das nächste Mal gab es kein Erbarmen. er blickte sich herrisch um, als wolle er jedem Widerspruch Trotz bieten. Da traten sie aus dem Dickicht heraus ins Sonnenlicht, und für eine
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