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Herr Der Fliegen

Herr Der Fliegen

Titel: Herr Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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Balken aus Sonnenlicht neigten sich immer mehr; sie schlitzten die Büsche auf, glitten über die kerzenförmigen grünen Knospen, stießen bald schon von unten an den grünen Baldachin, und das Dunkel wurde immer dichter unter den Bäumen. Mit dem Licht erstarben die grellen Farben, und die Hitze verflog, und der Druck schwand. Die Kerzenknospen bewegten sich. Ihre grünen Kelchblätter gingen ein wenig auseinander, und die weißen Blütenspitzen tauchten zart daraus hervor, der reinen Luft entgegen.
    Die Sonnenhelle hatte die Lichtung jetzt endgültig verlassen und war am Himmel entschwunden. Dunkelheit ergoß sich und ertränkte die Räume zwischen den Bäumen, bis alles düster und wunderlich schimmerte wie Meeresgrund. Die Kerzenknospen öffneten sich noch weiter, und ihre großen, weißen Blüten erglänzten im Nadellicht der ersten Sterne. Ihr Duft strömte aus und ergriff von der Insel Besitz.

Viertes Kapitel
 
BEMALTE GESICHTER UND LANGES HAAR
    Der erste Rhythmus, dem sie sich einfügten, war das langsame Schwingen vom Morgengrauen zum plötzlichen Abenddämmer. Sie nahmen die Freuden des Morgens, die helle Sonne, die wallende See und die reine Luft, als Stunden entgegen, in denen sich gut spielen ließ und das Leben so erfüllt war, daß man der Hoffnung nicht bedurfte und sie deshalb vergaß. Gegen Mittag, wenn die Lichtfluten fast senkrecht herabstürzten, überzog die vollen Farben des Morgens der Schmelzschleier der Perle und des Opals; und die Hitze stieß hernieder, als verleihe ihr die Höhe der am Himmel hängenden Sonne Schwerkraft, und sie duckten sich, eilten in den Schatten und lagerten sich oder schliefen gar.
    Seltsames tat sich um die Mittagsstunde. Die glitzernde See stieg auf und zerwehte in Flügel unmöglichster Gestalt; das Korallenriff und die wenigen verkümmerten Palmen, die sich an die höhergelegenen Stellen anklammerten, schwammen auf zum Himmel, bebten, wurden auseinandergerissen und huschten wie Regentropfen an einem Draht dahin oder vervielfachten sich wie in einer sonderbaren Folge von Spiegeln. Manchmal erstand in der Ferne Land, wo kein Land war und zerplatzte wie eine Blase, während sie noch hinschauten. Piggy tat das alles erfahren als ›Spiegelung‹ ab; und da keiner auch nur das Riff erreichen konnte über die Wasserfläche, unter der die schnappenden Haie warteten, gewöhnten sie sich an diese rätselhaften Bilder und sahen sie bald nicht mehr, genau so wenig wie sie die wundersamen, zuckenden Sterne beobachteten. Um Mittag schmolzen die Trugbilder in den Himmel über, und die Sonne starrte herab wie ein zorniges Auge. Und dann, gegen Ende des Nachmittags, zerfloß die Spiegelung, und der Horizont wurde gerade und blau und straff, sowie die Sonne abstieg. Das war wiederum eine Zeit verhältnismäßiger Kühle, über der jedoch drohend das Hereinbrechen der Dunkelheit stand. Wenn die Sonne versank, fiel das Dunkel auf die Insel herab wie ein Tuch, und bald zog Unruhe in die Hütten ein, und oben strahlten die fernen Sterne.
    Gleichwohl machte es ihnen der herkömmliche nordeuropäische Wechsel von Arbeiten, Spielen und essen den Tag hindurch unmöglich, sich restlos diesem neuen Rhythmus anzupassen. Der kleine Percival war schon bald am Anfang in eine der Hütten gekrochen und war zwei Tage nicht herausgekommen und hatte geredet, gesungen und geweint; schließlich dachten sie, er sei nicht ganz richtig und lächelten darüber. Seitdem kränkelte er, hatte entzündete Augen und fühlte sich elend, ein Kind, das selten spielte und oft weinte.
    Die Jüngeren hatten inzwischen die Sammelbezeichnung ›die Kleinen‹ bekommen. Von Ralph abwärts waren alle Größenabstufungen vertreten; aber wenn es auch eine schwer bestimmbare mittlere Gruppe gab, zu der Simon, Robert und Maurice zählten, erkannte doch jeder ohne weiteres, wer zu den Großen gehörte und wer zu den Kleinen. Die Kleinen – das heißt diejenigen, die unzweifelhaft zu dieser Gruppe rechneten, alle so um die sechs herum – führten ein besonderes und gleichzeitig ereignisschweres Leben abseits von den andern. essen war ihre Hauptbeschäftigung, sie pflückten ab was sie erreichen konnten und waren nicht wählerisch bei unreifen und verdorbenen Früchten. An Magenschmerzen und eine Art chronischer Diarrhöe waren sie jetzt gewöhnt. Im Dunkeln standen sie unsagbare Ängste aus und kuschelten sich aneinander. Neben Essen und Schlafen fanden sie Zeit zu ziellosem, wenig fesselndem Spiel im weißen Sand am

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