Herr der Krähen
Belieben schwarz oder weiß werden; sie wurden so geboren. Es war ein völlig unerreichbarer Wunsch, und sich nach dem Unerreichbaren zu verzehren, bis es einen auffraß, war wahrhaftig eine Krankheit, die ihn den Rest seines Lebens peinigen würde.
„Und wie kann man diesen Weiß-Wahn heilen?“, fragte Vinjinia, die zwar glücklich war, dass ihr Mann sein Verlangen ausgesprochen hatte, gleichzeitig aber fürchtete, die Krankheit könnte wieder zurückkehren.
Tajirika wartete auf eine Antwort, und weil er glaubte, der Herr der Krähen rückte zu zögernd damit heraus, unterstützte er seine flehende Frau. „Wie kann man das heilen?“, fragte er.
„Tajirika, du weißt über Pocken Bescheid?“
„Eine schreckliche Krankheit ist das, eine Geißel geradezu. Hat Ende des neunzehnten Jahrhunderts fast alle Schwarzen ausgelöscht. In gewisser Weise war sie schlimmer als das Todesvirus, das heute umgeht. Ziemlich ansteckend, und man konnte es überhaupt nicht verhindern. Nur wenn man Glück hatte. Gott sei Dank, gibt es die nicht mehr.“
„Und wie wurde sie besiegt?“
„Durch Massenimpfungen.“
„Genau. Man hat die Menschen mit den Krankheitserregern der Pocken geimpft. So war es auch mit der Tuberkulose. Tajirika, hast du schon mal Speck gebraten?“
„Eier, Würstchen und Speck sind meine Leibspeise, wenn mich nachts der Hunger überfällt“, antwortete Tajirika. „Aber natürlich ist es meine Frau, die kocht.“
„Welches Öl nimmt sie zum Speck braten?“
„Herr der Krähen, ist das Ihr Ernst? Haben Sie nie das Sprichwort gehört, dass man ein Schwein in seinem eigenen Fett braten soll? Aber was haben Pocken, Tuberkulose und Schweinefleisch mit Weiß-Wahn zu tun?“
„Kehr die Krankheit gegen sie selbst! Werde Weißer!“
Tajirika traute seinen Ohren nicht! Hier saß er, tieftraurig wegen der Erkenntnis, niemals weiß werden zu können, egal wie wohlhabend er war, und dann kam dieser Hexenmeister und behauptete, es gebe tatsächlich einen Weg, Weißer zu werden. Das Unmögliche könnte möglich gemacht werden!
„Wie?“, fragte er zweifelnd, nachdem er sich von dem angenehmen Schock erholt hatte. „Ich hoffe, Sie denken nicht an eine Hauttransplantation?“
„Oh, nein, es ist viel einfacher und nicht so schmerzhaft“, antwortete der Herr der Krähen. „Weiß zu werden ist wirklich einfach, aber es erfordert Arbeit, harte Arbeit.“
„Erzählen Sie mehr – ich bin bereit“, warf Tajirika ein und gab sich ganz seiner Freude über diese unerwartete Wendung in den wechselvollen Gezeiten seines Erdendaseins hin, denn so konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: seinen Weiß-Wahn heilen und gleichzeitig Weißer werden. „Herr der Krähen, zeigen Sie mir, wie ich Weißer werden kann. Ich bin bereit, alles zu tun, was nötig ist. Und wenn es getan ist, gebe ich Ihnen gerne, was immer Sie sich wünschen!“
„Zunächst hilf mir, ein Rätsel zu lösen“, forderte der Herr der Krähen.
„Sagen Sie schon!“
„Woran erkennt man das Wesen eines Menschen zuerst?“
„An seiner Hautfarbe!“
„Falsch, Tajirika. Sehen wir uns mal die Geschichte an. Als die Afrikaner im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert als Sklaven über den Atlantischen Ozean gebracht wurden, was nahmen die Weißen den Afrikanern in der Neuen Welt als Erstes?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Tajirika, der sich fragte, was die Sklaverei vergangener Jahrhunderte mit dem zu tun haben sollte, worüber sie gerade sprachen.
„In Ordnung, dann will ich dir eine andere Frage stellen. Wenn ein Kind geboren wird, was machen da Vater und Mutter, um es von anderen Kindern zu unterscheiden?“
„Geben ihm einen Namen?“
„Genau. Und was machten die weißen Sklavenhalter mit ihren schwarzen Sklaven? Sie nahmen ihnen den Namen, um sie zu denen zu machen, die sie haben wollten. Kannst du mir folgen?“
„Ja, Herr der Krähen.“
„Um weiß zu werden, musst du also zuerst deinen Namen aufgeben. Und im Gegensatz zu den Afrikanern, die man dazu gezwungen hat, musst du deinen freiwillig ablegen und ein untertäniger Sklave werden.“
„Das ist keine große Sache. Tajirika hat sich erledigt!“ Tajirika fragte sich, wieso der Herr der Krähen gesagt hatte, es würde harte Arbeit erfordern, Weißer zu werden. „Und als Nächstes?“
„Die Sklaven wurden dazu gezwungen, den Namen ihres Herrn anzunehmen. Du aber, Tajirika, hast Glück, weil du aus Tausenden europäischen Namen frei wählen
Weitere Kostenlose Bücher