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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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kannst.“
    „Das ist ja noch einfacher. Ich habe schon einen: Titus“, erwiderte er stolz, als hätte er schon immer alles richtig gemacht.
    „Titus? Na gut, sehen wir uns den mal näher an. Weißt du, woher dieser Name stammt? Ich meine, auf wen er sich bezieht?“
    „Keine Ahnung.“
    „Was ist in dich gefahren, Titus? Vergisst du deine Religion?“, mischte sich Vinjinia plötzlich ein. „Weißt du nicht, dass Titus ein Konvertit war und dem Heiligen Paulus geholfen hat? Der Heilige Paulus hat ihm sogar einen Brief geschrieben, der Brief des Paulus an Titus.“
    „Ach, daher kommt der Name?“, sagte Tajirika.
    „Es gab noch einen anderen Titus“, ergänzte der Herr der Krähen. „Titus Flavius Vespasianus, römischer Kaiser. Im Baugeschäft tätig, genau wie du. Vollendete das Kolosseum in Rom. Kaiser und Heiliger. Nicht schlecht, ein Name der beides beinhaltet.“
    „Dieser Kaiser und der Heilige, waren die weiß?“, fragte Tajirika in zweifelndem Ton.
    „Ja“, antwortete der Herr der Krähen.
    „Titus ist also weiß!“, sagte Tajirika und war wieder glücklich.
    „Nur ist das durch die Jahre des Kontakts mit deinem afrikanischen Tajirika befleckt worden“, warf Vinjinia ein.
    „Stimmt. Wähle den Namen, der am besten deinen Träumen vom Weißsein entspricht. Du hast freie Auswahl. Wähle, wer und was du in Zukunft sein willst. Verstehst du, was ich meine?“
    „Ja, Herr der Krähen.“
    „Nun, Titus“, rief der Herr der Krähen plötzlich im Befehlston. „Wie heißt du? Wie lautet dein vollständiger neuer Name?“
    „Clement Clarence Whitehead“, antwortete Tajirika stolz wie ein Pfau. „Und was jetzt?“, fragte er wieder und rieb sich die Hände.
    „Zuerst verliert der Sklave seinen Namen und anschließend seine Sprache. Also, Mr. Clement Clarence Whitehead, Sie wissen, was als Nächstes zu tun ist. Ihre Sprache. Geben Sie sie auf!“
    „Schon geschehen.“
    „Dann sprich von nun an Englisch wie ein Weißer.“
    „Damit habe ich bereits angefangen“, versicherte Tajirika dem Herrn der Krähen und rasselte ein paar Sätze herunter: „Hi! Give me fi! I am Clement Clarence Whitehead …”
    „Nein, kein amerikanisches Englisch, Mr. Whitehead. Das sogenannte amerikanische Englisch ist durch und durch vom schwarzen Englisch durchsetzt, das man jetzt Ebonics nennt.“
    „Daran sind diese billigen amerikanischen Fernsehserien schuld, die wir immer sehen. Die verderben uns die Sprache. Ich will kein Ebonics – ich will das Original. Ich schwöre, mich von jetzt an zu bemühen, mein Englisch zu verbessern. Das ist schwer und ich werde viel üben müssen.“
    „Gut gesprochen“, sagte der Herr der Krähen. „Von nichts kommt nichts.“
    „Also haben wir, was wir brauchen. Und jetzt?“, fragte Tajirika ein wenig ungeduldig, bereit, auch die verbleibenden Schritte zum Weißsein zu unternehmen.
    „Mr. Whitehead, wir kommen jetzt zum schwierigsten Teil, und deshalb sollten Sie ganz genau zuhören. Was sagt die Bibel über die Ehe, den heiligen Bund der Ehe?“
    „Dass die Frauen ihren Männern untertan sein sollen.“
    „Ja, aber das kommt erst, nachdem sie geheiratet haben. Was steht da zur Eheschließung selbst? Was sagt die Bibel dazu?“
    „Herr der Krähen, kommen Sie da nicht ein bisschen vom Thema ab?“, fragte Tajirika nach, wobei er sich Mühe gab, es beiläufig zu sagen, weil er seinen Wohltäter nicht beleidigen wollte.
    „Wenn zwei Menschen den heiligen Bund der Ehe eingehen, dann werden sie eins im Fleische. Oder so ähnlich.“
    „Und, hat das damit zu tun, Weißer zu werden?“
    „Das ist doch logisch, Mr. Clement Clarence Whitehead, einfache weiße Logik. Ein afrikanischer Weiser hat gesagt, die Weißen werden von Vernunft gesteuert und die Schwarzen vom Gefühl. Denken Sie also mit weißer Logik und nicht mit schwarzem Gefühl. Wenn es stimmt, dass ein Mann und eine Frau durch den heiligen Bund der Ehe eins im Fleische werden, dann ist der kürzeste und sicherste Weg zur Veränderung der eigenen Hautfarbe, eine Frau mit der Hautfarbe zu heiraten, die man selber anstrebt. Das bedeutet, Mr. Whitehead, Sie müssen eine Weiße heiraten, um die weiße Hautfarbe Ihrer Liebsten anzunehmen.“
    „Ich verstehe, und was ich bisher gehört habe, klingt gut“, sagte Tajirika. „Aber wie kann ich sicher sein, dass meine Frau nicht ebenfalls schwarz wird wie ich und ich damit im selben schwarzen Loch stecken bleibe wie eh und je? Oder wird sie etwa schwarz und ich

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