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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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weiß?“
    „Warum sollte Sie das kümmern? Hier geht es doch nur darum, dass Sie weiß werden wollen. Suchen Sie sich eine weiße Frau, die schwarz werden will, eine von denen, die immer in der Sonne braten, und dann tauschen Sie einfach die Hautfarbe. Eine Art Tauschgeschäft mit der Hautfarbe, meinen Sie nicht?“
    Bis zu diesem Punkt hatte Vinjinia an den Maßnahmen nichts auszusetzen gehabt, die der Herr der Krähen zur Heilung von Tajirikas Weiß-Wahn vorgeschlagen hatte. Als das Gespräch nun jedoch die Möglichkeit eröffnete, Tajirika könnte eine Weiße heiraten, wurde sie argwöhnisch. Visionen einer zerbrochenen Ehe, einer zerstörten Familie befielen sie, und sie konnte sich nicht länger zurückhalten.
    „Wovon reden Sie da, Herr der Krähen? Reden Sie meinem Mann ein, er soll sich von mir scheiden lassen und eine Weiße heiraten? Und du, Titus, wie kannst du es wagen, überhaupt daran zu denken? Du willst dich nach all den Jahren, die wir gemeinsam verbracht haben, einfach von mir trennen? Und das, obwohl Gott uns mit Kindern gesegnet hat?“ Das alles sprudelte aus ihr heraus, da sie nicht genau wusste, an wen sie ihren Kummer richten sollte.
    „Vinjinia, halt dich da raus und lass den Herrn der Krähen vollenden, was er gerade sagte“, fuhr Tajirika sie mit stechendem Blick wütend an. „Ich hab es immer gewusst, schwarze Frauen können sich nicht benehmen“, sagte er zu sich selbst, bevor er sich wieder zum Herrn der Krähen umdrehte und seine Frau völlig ignorierte. „Nachdem ich eine Weiße geheiratet habe, was kommt dann?“
    Nyawĩra konnte kaum glauben, was sie hörte und was sich da vor ihren Augen abspielte. Sie wollte lachen, aber das Lachen blieb ihr im Hals stecken, als sich die nächste Krise vor ihnen anbahnte.
    Vinjinia begann wie eine Besessene zu zittern und zu schlottern. Zuerst glaubte Nyawĩra, sie zitterte vor Wut. Dann jedoch sah sie Vinjinia vom Stuhl fallen und sich auf dem Boden wälzen. Tajirika stürzte zu ihr und versuchte sie aufzuheben, aber es gelang ihm nicht. Nyawĩra wollte ihm zu Hilfe eilen, hielt sich aber zurück. Die beiden sollten ihre Streitigkeiten unter sich ausmachen. Allerdings schien Tajirika nicht in der Stimmung, irgendetwas klären zu wollen, er war aufgebracht, die magischen Rituale des Zauberers nun weiblichen Dämonen zugewandt zu sehen. Nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, Vinjinia wieder auf die Beine zu bekommen, gelang es ihm schließlich, sie aufzusetzen. Ihre Augen blickten wild umher, und es schien, als wäre ihr nicht einmal bewusst, wer Tajirika überhaupt war. Gefangen in dieser Welt, holte sie jetzt einen Spiegel aus ihrer Handtasche und betrachtete ihr Gesicht. Und dann begann Vinjinia zu Nyawĩras äußerstem Erstaunen zu husten und vor sich hin zu murmeln: „Wenn! Wenn ich bloß!“
    Für Tajirika war das der sprichwörtliche letzte Nagel zum Sarg seiner Träume.
    „Oh, Vinjinia, warum hast du mir das angetan?“, stöhnte er, als er sich Hilfe suchend zum Herrn der Krähen umdrehte.
    „Sie hat Ihre Krankheit“, erklärte der Herr der Krähen. „Die Krankheit ist ansteckend, wissen Sie.“
    Er bat Vinjinia und Tajirika, die Plätze zu tauschen, sodass jetzt Vinjinia direkt vor dem Fenster saß, während Tajirika schweigend zuschaute.
    Der Zauberer ließ sie die gleiche Prozedur durchlaufen wie zuvor Tajirika.
    „Die Weisheit, die in einem Herzen eingeschlossen ist, hat noch nie einen Gerichtsprozess gewonnen“, sagte er und versuchte, ihre Seele zu beruhigen. „Also spuck jedes Wort aus und lass deinen Gedanken furchtlos freien Lauf.“
    Er musste Vinjinia nicht lange bitten.
    „Wenn meine Haut nicht schwarz wäre, hätte mein Mann dann daran gedacht, mich zu verlassen? Wenn ich doch nur weiß werden könnte!“, sagte sie.
    In dem Augenblick, in dem sie das letzte Wort sagte, spürte Vinjinia, wie sich eine schwere Last von ihrer Seele hob; auch sie erlebte die Freude und Erleichterung desjenigen, der seine Sünden gebeichtet hat. Sie durchlief dieselben Schritte, die ihr Mann bereits hinter sich hatte und änderte sogar ihren Namen in Virgin Beatrice Whitehead, bevor sie sich schließlich zu ihrem Mann umdrehte, als wollte sie sagen: Ich bin ein schwarzer Sünder wie du, drum lass uns unser Heil gemeinsam im Weißsein suchen.
    „Was müssen wir tun, um weiß zu werden?“, fragten Mann und Frau im Chor.
    „Bei den Weißen gibt es verschiedene Stämme: Deutsche, Franzosen, Russen, Italiener, Portugiesen, Spanier

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