Herr der Krähen
Lager am Bauplatz aufgeschlagen.
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„Wir waren natürlich auch dort“, erzählte Nyawĩra Kamĩtĩ. „Einige von uns, hauptsächlich Frauen, mischten sich schon Tage vorher unter die Leute. Im Schutz dieser überwältigenden Teilnehmerzahl wollten wir für Demokratie eintreten und die Diktatur öffentlich verurteilen. Die angekündigte Präsenz der Global Bank machte die Sache einfacher für uns. Demokratischer Raum, garantiert von der Bank, gegen die wir auftraten – was für eine Ironie!“
Es war der Morgen nach Nyawĩras nächtlicher Flucht in die Berge. Sie hatte in Kamĩtĩs Behelfsunterkunft unter einer Sykomore nicht gut geschlafen und war immer wieder vom Albtraum einer bevorstehenden Verhaftung heimgesucht worden. Das Behelfsbett aus Farn und Schilf hatte auch nichts verbessert. Mehrmals war sie aufgewacht und schließlich froh, als der Morgen anbrach.
Die Schrecken der Nacht verflüchtigten sich, auch wenn sie noch ab und zu spürte, wie ihr Herz schneller schlug, wenn sie daran dachte, wie knapp sie der Verhaftung entgangen war. Der Friede, der sie und Kamĩtĩ umfing, unterschied sich wohltuend von den Ereignissen der vergangenen Woche, als sie und ihre Mitstreiter die Schlacht geschlagen hatten. Einige Vorbereitungstreffen hatten die ganze Nacht gedauert. An den Wochenenden reihten sie sich in die Warteschlangen ein, um sich ein besseres Bild über die Absichten und Wünsche der Leute machen zu können. Als der Tag der Einweihung unmittelbar bevorstand, hatten sie sich bis ins kleinste Detail über die staatlichen Pläne und die Stimmung informiert.
Der Herrscher und seine Ratgeber waren in freudiger Erwartung, zumal die Menschen schon eine Woche vorher zum Bauplatz pilgerten. Radiokommentatoren berichteten geradezu enthusiastisch über diesen Pilgerzug und die Begeisterung des Volkes für Marching to Heaven. Machokali wurde nicht müde, die Weisheit und Weitsichtigkeit des Herrschers zu loben, und während die Menschenschlangen immer größer wurden, hielt er die Global Bank ständig darüber auf dem Laufenden.
Sikiokuu war natürlich alles andere als glücklich über die ganze Sache, schluckte aber Neid und Groll hinunter und hoffte darauf, dass irgendetwas schiefging. Um das herbeizuführen, war der Minister sehr nachlässig in seiner Forderung nach umfassender Wachsamkeit durch den M5.
Nyawĩra und ihre Mitstreiter hatten sich Donnerstagnacht auf den Weg zum Baugelände gemacht, um sich dort mit den anderen Mitgliedern der Bewegung zu treffen. Den Freitag wollten sie für die letzten Vorkehrungen zur Umsetzung ihrer Pläne nutzen.
„Eine so große Menschenmenge habe ich noch nie gesehen“, erzählte sie Kamĩtĩ. „Die Menge bei der Enthüllung von Marching to Heaven war nichts dagegen. Die Regierung stellte Busse und Lastwagen zur Verfügung, die mit Bildern des Herrschers bepflastert waren. Die Leute klopften an die Seitenwände der Fahrzeuge und trommelten den Rhythmus ihrer Lieder. Andere schwenkten grüne Zweige und sangen. Jede Schlange hatte ihre eigenen Lieder, in denen sich ebenso viele Interessen manifestierten, wie es Schlangen gab. Da war kein vereinendes Motiv, abgesehen von der allgemeinen Auffassung, die Global-Bank-Delegation sei auf einer Mission, die irgendwie mit Geld und Arbeitsplätzen zu tun hatte.“
Angesichts der gewaltigen Teilnehmerzahl beschäftigten sich die Staatsfunktionäre vorrangig mit einer wichtigen Angelegenheit: der Platzierung der Würdenträger, in der sich, zumindest aus Sicht des Staates, die Bedeutung der Gäste widerspiegeln sollte. Rechts vom Herrscher saßen die Delegierten der Global Bank. Ihnen folgten die ausländischen Botschafter, der amerikanische an der Spitze. Auch religiöse Würdenträger waren im Übermaß vertreten – katholische Kardinäle, protestantische Bischöfe, muslimische Scheichs, Rabbis und die Priester unterschiedlicher indischer Sekten. Dem Herrscher und seinen Beratern war daran gelegen, Gerüchten den Boden zu entziehen, wonach ihn die religiösen Gemeinschaften als Inkarnation des Fürsten der Finsternis abgewiesen hätten. Zur Linken des Herrschers saßen seine Minister, die Parlamentsmitglieder und die Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte. Unmittelbar hinter dem Herrscher hockte sein offizieller Biograph Luminous Karamu-Mbu, der wie immer Buch und Stift in der Hand hielt, groß genug, um sie aus weiter Entfernung noch gut erkennen zu können.
Als der Herrscher in Begleitung seiner Leibgarde erschien,
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