Herr der Krähen
Vorsitzender von Marching to Heaven bleiben?“, fragte Sikiokuu, ermutigt vom Urteilsspruch des Herrschers. „Ich schlage vor, ihn sofort seines Postens zu entheben, damit er sich nicht in die Ermittlungen einmischen kann.“
„Halt den Mund“, warnte der Herrscher Sikiokuu, „oder ich sorge persönlich dafür. Wir wechseln die Pferde nicht während des Rennens. Tajirika bleibt auf seinem Posten.“
Jetzt war es an Machokali, sich siegessicher zu fühlen. Er brachte sogar ein Lächeln hervor, aber es verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.
„Ich werde einen Stellvertreter einsetzen und fordere Minister Sikiokuu auf, mir seine Vorschläge einzureichen. Und, Sikiokuu, ich wünsche, dass du einen Untersuchungsausschuss einsetzt, der sich dieser Angelegenheit mit den Warteschlangen und der damit einhergehenden Manie annimmt. Diese Kommission hat herauszufinden, wo, wann und wie die Schlangen entstanden sind und wie es dem Feind gelungen ist, sie als Tarnung für seine schändlichen Taten zu benutzen. Die anderen Minister mögen Mitglieder für diesen Untersuchungsausschuss vorschlagen, seine Zusammensetzung – einschließlich der Wahl des Vorsitzenden – obliegt Sikiokuu.“
Sikiokuu war von dieser Entwicklung begeistert. Er hatte über seinen Erzrivalen gesiegt. Zumindest glaubte er das. Seine Euphorie erhielt einen Dämpfer, als der Herrscher verkündete: „Wenn ich aus New York zurückkomme, wünsche ich die Abschlussberichte auf meinem Tisch!
Und was dich angeht, Machokali“, fuhr der Herrscher fort und drehte sich nun zu ihm um, „beschäftige dich damit, meine bevorstehende Reise nach New York zu organisieren. Bring so viele Staatsbesuche wie möglich in dieser Reise unter. Ich will nicht, dass diese Global-Bank-Leute glauben, ich würde die Reise nur aus dem Grund machen, um mit ihnen zu verhandeln.“
So enttäuscht Sikiokuu darüber war, nicht mit nach New York reisen zu dürfen, so verärgert war Machokali, dem Erzfeind eine vielleicht verheerende Untersuchung überlassen zu müssen. Fieberhaft überlegte er, was Sikiokuu die Hände binden könnte.
„Was soll mit Nyawĩra geschehen?“, fragte er. „Wenn man der Bewegung für die Stimme des Volkes nicht das Rückgrat bricht, könnte die Global Bank zögern, einem Land, das vor einer Rebellion steht, Geld zukommen zu lassen.“
Diese Worte stachen wie Nadelspitzen in den Traum von Staatsbesuchen und weckten die Erinnerung an die Schmach von Eldares. Die Wut auf die Frauen und der Rachedurst meldeten sich mit einer Wucht zurück, die den Herrscher fast erstickte. Warum bloß haben sie mir das vor den Augen der ganzen Welt angetan?
10
Wie hält man Fakten und Fiktion auseinander, wenn man erzählen will, was die Frauen an jenem Tag anstellten? Alle, die die Geschichte wiedergaben – und es gab zahlreiche Versionen – behaupteten steif und fest, alles mit eigenen Augen gesehen zu haben. Unstrittig war Folgendes: Es hatte nie zuvor eine so große öffentliche Kundgebung wie die aus Anlass der Einweihung des Bauplatzes für Marching to Heaven gegeben.
Wer war für diese Menschenmenge verantwortlich? Die Parteianhänger? Die Radiosender, die die Menschen drängten, zum Bauplatz zu kommen? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der amtlichen Erklärung, die Big Ben Mambo in seiner Eigenschaft als Informationsminister herausgab: Die Delegierten der Global Bank seien die Ehrengäste. Das gab den Gerüchten neue Nahrung, die Delegation sei angereist, um Geld direkt an das Volk zu verteilen, eine deutliche Abkehr von ihrer üblichen Praxis, es vollständig dem Staat zu überlassen.
NGO s meldeten sich zu Wort und gaben der Bevölkerung Ratschläge, wie sie das Geld verwenden sollten. Andere sprachen von den Rechten der einfachen Leute gegenüber Aufmerksamkeiten von Banken. Einige feministische Gruppen protestierten, dass die Mitglieder der Global-Bank-Delegation ebenso wie die Minister, die die Delegierten von einer Warteschlange zur anderen führten, ausschließlich Männer seien. Sie sahen darin eine chauvinistische Intrige und gründeten die „Nur für Frauen“-Bewegung, die einen Teil des Geldes für sich beanspruchte. Rivalisierende NGO s bildeten eigene Warteschlangen mit eigenen Parolen.
Als der große Tag anbrach, mäanderten sämtliche Menschenschlangen, die unterschiedlicher Anliegen wegen in Eldares wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, zum Park. Die Leute aus entfernteren Gegenden hatten bereits Tage vor dem Ereignis ihr
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