Herr der Krähen
auch anmutete, in Wahrheit ein ritueller Eingeborenentanz.
Der Herrscher verhielt sich natürlich würdevoll und ernst, weil er nicht wusste, was er tun sollte: gehen oder bleiben. Die Polizei legte die Gewehre an und wartete auf den Feuerbefehl, aber selbst sie war unsicher, auf wen oder wohin sie zuerst schießen sollte.
Machokali war den Tränen nahe. Warum nur hatte er die Frauen um eine Aufführung gebeten? Warum hatte er es nicht bei den Schulkindern und der Parteijugend bewenden lassen? Andererseits wusste er so gut wie jeder andere, dass ohne einen Auftritt von Frauen kein Unterhaltungsprogramm für offizielle Staatsgäste und Würdenträger als authentisch angesehen wurde. Im Nachhinein allerdings wäre ein Verzicht darauf dem grässlichen und ekelerregenden Skandal, der sich direkt vor seinen Augen abspielte, vorzuziehen gewesen.
Obwohl er natürlich nicht so dumm war, es offen zu zeigen, war Sikiokuu einer der wenigen auf Seiten des Staates, der Genugtuung empfand. Er freute sich über alles, was seinem Widersacher schadete. Der einzige Wermutstropfen war sein Vorschlag gewesen, der Herrscher solle sich unter die Frauen mischen. Doch er verwarf diese Sorge schnell wieder, denn Dank der Einmischung seines Rivalen hatte der Herrscher von seiner ursprünglichen Idee abgelassen. Trotzdem mochte er sich sein Schicksal gar nicht erst vorstellen, wenn die Frauen sich zum Scheißen hingesetzt hätten, während der Herrscher und die ausländischen Diplomaten unter ihnen waren.
Der Polizeichef eilte zum Herrscher und bat um Erlaubnis, in die Luft schießen zu dürfen. „Verdammter Idiot“, sagte der Herrscher, „dann läuft die Menge Amok, und was willst du dann tun? Sie vor laufender Kamera abknallen?“ Das Mikrofon war eingeschaltet und ihr Wortwechsel zu hören, aber die Leute, die nicht wussten, was sich abspielte, nahmen an, sie würden über die einundzwanzig Schuss Salut reden, die zu Ehren der Gäste der Global Bank geplant waren.
Kurz darauf waren die paradierenden Frauen aus der Arena verschwunden und nicht mehr von der sitzenden Menge zu unterscheiden. Für kurze Zeit glaubte man auf der Bühne, Zeuge eines Zauberkunststücks geworden zu sein.
12
Sogar der Herrscher glaubte, seine Augen hätten ihn irregeführt. Wohin waren die schamlosen Tänzerinnen verschwunden? Er erhob sich, um über die Sinnestäuschung hinwegzureden und alle Gemüter zu beruhigen, die durch die Frauen und den Polizeichef in Aufruhr gebracht worden waren. Er bemühte sich, schlagfertig zu sein, und erinnerte die Leute daran, dass sie sich schließlich in Schwarzafrika befänden und alles, was sie gesehen und gehört hätten oder glaubten, gesehen oder gehört zu haben, nichts anderes war als schwarzer Humor aus einem uralten aburĩrischen Ritual. Bevor er sich jedoch über das Ritual und seine Bedeutung ausließ, warf er einen Blick auf seine Gäste, um zu sehen, wie sie seinen Erklärungsversuch aufnahmen, musste aber feststellen, dass alle woandershin starrten. Schiere Verblüffung warf ihn unfreiwillig auf seinen Stuhl zurück. Hörte dieser Albtraum niemals auf?
Die Bühne, auf der er mit seinen Gästen saß, begann, langsam zu sinken, als ob eine Kraft aus dem Schoß der Erde sie hinabzog. Eine schlammige Flüssigkeit sickerte von der Bühne und bildete langsam einen Teich. Hatte man die Bühne auf einem Sumpf errichtet?
Als Erste ergriffen die ausländischen Diplomaten und die Banker die Flucht. Der Herrscher und seine Minister erhoben sich und versuchten, Würde zu bewahren. Machokali reagierte auf eine Geste des Herrschers, griff zum Mikrofon und verkündete, die Zeremonie sei hiermit offiziell beendet. Als sich Machokali danach wieder umblickte, waren der Herrscher und die anderen Minister nirgends mehr zu sehen. Der schlammige Teich war größer geworden, und seine Schuhe schon halb in dem dunkeltrüben Brei versunken. Der Geruch deutete auf eine Mischung aus Urin und Kot, aber er konnte trotzdem nicht mit Gewissheit sagen, woraus diese Substanz bestand. Er rannte zu seinem Auto und scherte sich nicht länger um das, was um ihn herum geschah. Dann sah er den Herrscher und die anderen Minister, die sich in ihren Autos eilig davonmachten.
Einige Erzähler dieser Geschichte behaupten, sie hätten gesehen, wie der Herrscher und die Minister im Morast versanken und Polizisten sie herausziehen mussten. Andere bestreiten das und beharren darauf, dass die Bühne erst versank, nachdem die Würdenträger geflohen
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