Herr der Krähen
über neokoloniale Politik in Aburĩria und Afrika. Wie oft haben wir die Nacht durchgemacht, die Klassenstruktur unserer Gesellschaft analysiert und die Politik und Geschichte Aburĩrias. Das war in den Zeiten, als die Heldentaten von Yunity Mgeuzi-Bila-Shaka und Luminous Pen-Scream-Revolution, wie wir ihn manchmal auf Englisch nannten, bei uns Studenten und jungen Leuten sehr angesagt waren. Obwohl wir sie nicht einmal persönlich kannten, weil sie im Exil waren, haben wir alles gelesen, was sie über die Revolution geschrieben und gesagt haben, und darüber diskutiert. Sogar die Bücher, die sie behaupteten, gelesen zu haben, standen auf unserer Lektüreliste. Wie ,Die Mutter‘ von Gorki. Kaniũrũ äußerte sich nicht gerade freimütig zu diesen Dingen, aber er war immer dabei und warf ab und zu ein paar kritische Fragen ein. Wenn er mit seinen Argumenten nicht durchkam, nannte er uns ,unverbesserliche Idealisten‘. Meistens aber war er einfach nur anwesend, ein schweigender Zuhörer, ein Mensch ohne eigene Meinung. Und ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals über Berge und Wälder und Verstecke gesprochen hätten.“
„Man erinnert sich nicht an alles, worüber man mit einem Liebhaber oder der Geliebten gesprochen hat, als die Herzen im gleichen Takt schlugen und der Blick auf eine gemeinsame Zukunft gerichtet war. Kaniũrũ mag vielleicht nicht gewusst haben, dass du zur Bewegung gehörst, aber er ist auf die Wahrheit gestoßen, als er zwei und zwei zusammengezählt hat, und auch wenn er nicht in allen Einzelheiten richtig liegt, kommt er der Wahrheit doch nahe genug, um ziemliches Unheil anrichten zu können.“
„Was sollte ich deiner Meinung nach tun?“
„Nach Eldares zurückgehen“, antwortete Kamĩtĩ, ohne zu zögern.
„Was?“, fragte Nyawĩra verblüfft.
„Ja. Geh nach Eldares zurück.“
„Du willst mich nicht hier haben? Nicht mal für ein paar Tage?“, fragte Nyawĩra misstrauisch gegenüber seinen Worten und Motiven.
„Es geht nicht darum, was ich will oder nicht. Ich habe eine Vorahnung, dass sie, wenn sie dich in der Stadt nicht finden, hier in den Bergen suchen werden. Und sei es nur, um andere abzuschrecken, die über eine Flucht in die Berge nachdenken.“
„Warum sagst du nicht gleich, du willst nicht, dass sie dir in die Quere kommen?“
Ihr Ton ließ ihn zusammenzucken. Der Vorwurf verletzte ihn.
„Weil es nicht stimmt“, erwiderte er. „Es geht mir um deine Sicherheit.“
„Was also soll ich deiner Meinung nach tun? Zurückkehren und durch die Straßen von Eldares stolzieren?“
„Am sichersten ist es vor der Nase des Feindes“, sagte Kamĩtĩ.
„Willst du damit sagen, ich soll mich auf einer Polizeiwache verstecken? Vergiss es!“
„Ich sage nicht, dass wir aufgeben. Ich sage, dass wir uns direkt vor ihrer Nase verstecken sollten.“
Hatte sie richtig gehört? Hatte er „wir“ gesagt? Oder spielten ihr die Ohren einen Streich?
„Wir? Heißt das, du kommst mit?“
„Ja, Nyawĩra, diesmal lässt du mich nicht hier sitzen. Ich werde an deiner Seite sein, wohin auch immer du gehen willst.“
„Entschuldige meinen Ton und mein Misstrauen“, sagte Nyawĩra, „was du gerade gesagt hast, berührt mich wirklich sehr. Aber du weißt, ich möchte nicht, dass du meinetwegen etwas tust, woran du nicht glaubst.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte Kamĩtĩ. „Seit wir uns trennten, habe ich ständig über unsere letzten Gespräche nachgedacht. Du hattest recht. Unsere Gesellschaft verfault, und wenn wir nichts dagegen unternehmen, gehen wir alle unter. Ich gebe zu, dass ich vielleicht nicht mit den Forderungen und der Disziplin in deiner Bewegung klarkommen werde. Ich bin mir nicht einmal darüber im Klaren, ob ich überhaupt Mitglied werden möchte. Aber vielleicht ein Mitreisender auf der Fahrt gegen das Böse, gegen das du kämpfst. Das ja. Ich bin nur ein Seher des Geistes, oder etwas in der Art. Ich bin besorgt um das Wohlergehen des Herzens. Aber ich weiß auch, was die Heiligen Schriften sagen: Der Körper ist der Tempel der Seele. Oder so ähnlich. Eine gesunde Seele braucht einen gesunden Körper. Viele Hände, sagt man, machen schwere Arbeit leichter. Du und ich, wir können zusammenarbeiten. Du kümmerst dich um die Angelegenheiten des Körpers, ich mich um die der Seele und des Geistes. Ihr Frauen von Eldares habt den Weg aufgezeigt.“
„Wovon redest du eigentlich?“, fragte Nyawĩra und lachte. „Welchen Weg
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