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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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würde eine Rolle in der Affäre um Nyawĩra spielen, zumal später herauskam, dass sie seine Frau gewesen war.
    Um die Universitätsprofessoren zu beeindrucken, die mit ihm in der Jugendbrigade zusammengearbeitet, ihn aber nur als kleinen Lehrer am Polytechnikum angesehen hatten, suchte Kaniũrũ sie im Büro oder gar zu Hause auf und gab vor, nur mal schnell vorbeischauen und nicht lange bleiben zu wollen. Im Gehen fragte er dann, ob jemand in die Stadt mitgenommen werden wolle, und versicherte ihnen, in seinem Mercedes, einem der neuesten Modelle, sei reichlich Platz. Da sie wussten, über welche Macht er jetzt verfügte, sahen sie ihn mit neidvoller Bewunderung an, nannten ihn einen Großen Mann und fragten ihn, wann sie ihn wieder treffen könnten, um ihre Freundschaft zu erneuern und ihm eine kleine Aufmerksamkeit zu überreichen. „Wir Lehrer sollten zusammenhalten“, sagten sie. „Ich bin kein Lehrer“, berichtigte er sie dann, und sie entschuldigten sich schleunigst für ihre Unüberlegtheit. Er genoss diese Momente, in denen diejenigen, die sich immer für etwas Wichtigeres gehalten hatten, vor ihm krochen und um sein Wohlwollen buhlten.
    Er hatte eine Idee. Warum nicht den Genuss noch erhöhen? Warum nicht ein Besuch bei Matthew Wangahũ, Nyawĩras Vater, dem Mann, für den er, Kaniũrũ, zu armselig für die Hand seiner Tochter gewesen war? Vielleicht verbarg sich Nyawĩra ja dort? Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?
    „Auf zu Wangahũ“, sagte er, streichelte seinen Mercedes und redete mit ihm, als wäre er ein Pferd.

7
    Als Wangahũ einen glänzenden Mercedes vor seinem Haus vorfahren sah, in dem er sogleich einen Kabinettsminister vermutete, eilte er nach draußen, um ihn zu begrüßen. Der Fahrer stieg aus, öffnete die Hintertür und salutierte. Als er Kaniũrũ aussteigen sah, wollten Wangahũ die Knie versagen, doch da er in Anstand und Haltung geschult war, ließ er keine übermäßige Überraschung erkennen. Er bat den Besucher in sein Wohnzimmer und rief nach seiner Frau Roithi, damit sie den Gast begrüßte. „Und denk dran, man fragt einen Hungrigen nicht nach Neuigkeiten“, sagte er zu ihr, nachdem sie sich die Hände an der Schürze abgewischt und dem Besucher die Hand geschüttelt hatte. Sie verschwand wieder in der Küche und wies die Hausangestellte an, ihr bei der Zubereitung eines Hühnchens zur Hand zu gehen.
    „Glückwunsch zu deinen kürzlichen Ernennungen“, gratulierte Wangahũ Kaniũrũ. „Bei uns heißt es, harte Arbeit zahlt sich immer aus. Ich hatte schon daran gedacht, dich in deiner neuen Funktion als Stellvertretender Vorsitzender von Marching to Heaven zu besuchen, aber ich freue mich, dass du mir zuvorgekommen bist. Nur weil du und Nyawĩra nicht miteinander klarkommen, heißt das nicht, dass es bei uns beiden genauso sein muss. Du hast in unsere Familie eingeheiratet, also wirst du in diesem Hause auch immer wie ein Familienmitglied behandelt werden. Nun, was mir ehrlich gesagt durch den Kopf geht, ist Folgendes: Falls die Global Bank das Geld für Marching to Heaven freigibt, sollten wir zwei uns mal zusammensetzen und über einen Vertrag über die Lieferung von Hölzern reden. Du und ich, wir können Partner werden. So eine Art Partnerschaft zwischen Vater und Sohn, was hältst du davon?“
    Kaniũrũ, der Ablehnung erwartet hatte, war von diesem Empfang überrascht. Dieser Mann, der so sanft zu ihm sprach, war derselbe, der sich geweigert hatte, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Er war sogar so weit gegangen, sie zu enterben, weil sie sich ihm widersetzte und sich mit einem Bettler, als den ihn Wangahũ damals bezeichnete, einließ. Aber das verdarb Kaniũrũ die Freude an diesem Augenblick keineswegs. Er genoss es, sich in dem Wohnzimmer aufzuhalten, das ihm einst verschlossen geblieben war, und Wangahũ so höflich mit ihm reden zu hören, als wären sie einander ebenbürtig. Was Kaniũrũ jedoch nicht gefiel, war Wangahũs Aussage, er wolle Kaniũrũ erst besuchen, wenn die Global Bank das Geld freigegeben habe. Begriff der Alte etwa nicht, dass ihm in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Vorsitzender bereits viele ihre Aufwartung gemacht hatten, von denen etliche wohlhabender waren als er? Sie alle hatten darauf geachtet, ihm als „Visitenkarte“ einen Umschlag zu überreichen. Hatte der Alte die leiseste Ahnung, wie er zu seinem Mercedes gekommen war?
    Kaniũrũ rief sich in Erinnerung, welchen Schmerz ihm der Alte zugefügt

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