Herr der Krähen
Vorfahren gebracht hatte. Früher hatte er immer die Ruhe des Dorfes gegen die beklemmende Enge der Stadt gestellt. Inzwischen waren die Dinge aber weit vielschichtiger. Seine Sorge mischte sich mit der Verachtung, die er gegen solche wie Matthew Wangahũ und Kaniũrũ hegte. Nyawĩra hatte bei ihrem drastischen Versuch, Vinjinia zu helfen, eine erstaunliche Großherzigkeit und Charakterstärke sowie Selbstaufopferung gezeigt. Er empfand Glück, dass sie seine Gefährtin war. Sie hatte ihm eine neue Sicht auf die Welt vermittelt. Während er über die Sicherheit und die Möglichkeiten ihrer Beziehung nachdachte, verlor er jedes Gefühl für seine Umgebung. Erst ihre Schritte holten ihn aus seiner Traumwelt zurück.
Sie bemerkte seinen erschrockenen Blick und deutete ihn als noch andauernde Angst wegen der Gefahr, in die sie sich während seiner zweiwöchigen Abwesenheit begeben hatte. Sie versuchte, ihn zu beruhigen.
„Hör zu, ich wäre alles andere als aufrichtig, wenn ich nicht zugeben würde, dass mir, als ich Kaniũrũ Auge in Auge gegenüberstand, so war, als müsste ich alle Tarnung abwerfen und ihm zeigen, dass ich noch lebe und wohlauf bin, oder ihm einfach mit einem Messer die Nase abschneiden. Aber ich habe mir jede Dummheit versagt, weil das alles, wofür ich eintrete, gefährdet hätte. Außerdem ging es mir wirklich um Vinjinia. Ich habe nicht vergessen, dass sie einmal meinetwegen verhaftet wurde. Und auch der Stolz hat mich dazu gebracht, ihr zu helfen. Ich will nicht eines Tages den Vorwurf hören, es sei jemand zum Schrein des Herrn der Krähen gekommen, sei aber wieder weggeschickt worden, ohne dass man sich seiner Nöte angenommen hätte. Jetzt freue ich mich, dass Vinjinia friedlich schlafen kann, weil sie weiß, was sie nun weiß.“
„Was denn?“
„Wenn sich der Staat über eine Person ausschweigt, die er verhaftet hat, dann ist das meistens ein Todesurteil. Tajirika war bereits tot. Wir haben ihn ins Leben zurückgeholt.“
17
Auch Tajirika war überzeugt, bald eine Leiche zu sein. Nach seiner Festnahme hatten sie ihm die Augen verbunden und ihn in eine dunkle Kammer geworfen. Ein winziges Licht über ihm, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte, war sein einziger Gefährte. Im Dunkeln brachten die Wärter ihm Essen und Wasser und beantworteten wie seine Kidnapper keinerlei Fragen. Die Tage und Nächte in schmerzvollem Schweigen machten ihn taub vor Angst. Der Gedanke, er könnte seinen ganzen Besitz verlieren, war unerträglich. Er hätte alles getan, um ihn zu retten, hätte sich selbst denen zu Füßen geworfen, die für seine Inhaftierung verantwortlich waren. Nur, wer waren sie?
Ein Verdacht nach dem anderen suchte ihn heim. Hatte Vinjinia, als sie sich in Haft befand, was ihn betraf, gelogen, um im Austausch dafür freigelassen zu werden? Oder hatte man Nyawĩra gefasst und sie hatte ihn als Mittäter ihrer Verbrechen angeschwärzt?
Er war entschlossen, seinen Entführern und allen Lügen entgegenzutreten, die man über ihn verbreitete; und er wollte seine Bereitschaft zeigen, die Verfehlungen und Unterlassungen zu bereuen, deren man ihn beschuldigte.
Sikiokuu hatte das vorausgesehen. Ihm war klar, dass Tajirikas augenblicklicher Geisteszustand alle möglichen unverlangten Beichten zur Folge haben würde. Der verzweifelte Kerl wäre bereit, sich völlig Sikiokuus Gnade auszuliefern. Deshalb konnte Sikiokuu mit mehreren Optionen spielen.
Vinjinias unerwartetes Einschreiten im Beisein der Presse vereitelte diese Pläne und zwang Sikiokuu, so viele Informationen wie möglich aus Tajirika herauszupressen, bevor der Herrscher in Amerika die Nachricht von seiner Verhaftung erfuhr. Er befahl seinen Leuten, unverzüglich mit den Verhören zu beginnen.
Sie brachten Tajirika aus der dunklen Kammer in ein Verhörzimmer und drückten ihn auf einen Stuhl. Vom Licht geblendet, musste er unkontrolliert zwinkern; zunächst konnte er nichts erkennen. Dann merkte er, dass er sich an einem Tisch in der Mitte eines Raumes befand. Ihm gegenüber saß ein Mann in einem schwarzen Anzug. Im Vergleich zur düsteren Kammer seiner bisherigen Haft war das für Tajirika eine große Verbesserung, aber die Demütigung brannte in ihm, und er keuchte vor kaum unterdrückter Wut.
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich bin von der Polizei“, sprach der Mann und reckte ihm über den Tisch die Hand entgegen. „Nennen Sie mich Assistent Superintendent Njoya, Elijah Njoya.“
Tajirika ignorierte die
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