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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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den Plural zu setzen, wodurch der Eindruck entstand, es könnte sich um Tausende Stellen handeln?“
    „Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern“, antwortete Tajirika, der sich vor diesem professionellen Wortverdreher und Bedeutungsänderer langsam hilflos vorkam.
    „Und Sie haben es ihr überlassen, die Worte so zu setzen, wie sie das wollte?“
    „Sehen Sie mal, Mr. Officer. Sie war meine Sekretärin. Jeder Chef gibt einer guten Sekretärin eine generelle Vorgabe, wie er Dinge geregelt haben will, und überlässt es ihr, Inhalt und Geist seiner Anweisungen zu respektieren.“
    „Es wäre demnach korrekt zu sagen, dass Nyawĩra grundsätzlich Ihre Wünsche interpretierte und Ihre Anweisungen ausführte?“
    „Ja, zumindest, während sie bei mir beschäftigt war. Was darüber hinausging, habe ich keinen Anspruch auf ihre Zeit erhoben.“
    „In Ordnung. Eine gute Interpretin Ihrer Wünsche, während sie für Sie arbeitete, und frei in ihren Handlungen, sobald sie den offiziellen Arbeitsplatz verlassen hatte. Richtig?“
    „Richtig. Sie sagen es.“
    „Wie ist denn dann die Warteschlange aus Arbeitsuchenden entstanden?“
    „Wissen Sie, nach jenem Tag meiner außergewöhnlichen Ernennung war ich eine Zeit lang leider nicht in der Lage, ins Büro zu gehen …“
    „Warum nicht?“, fiel ihm Njoya ins Wort.
    „Ich laborierte an einer Krankheit.“
    „Sie waren krank?“
    Tajirika zögerte. Wie sollte er diesem Inquisitor seine seltsame Krankheit erklären? Eine Krankheit, die nicht einmal einen Namen hatte?
    „Eine Sache mit dem Herzen.“
    „Ein gebrochenes Herz?“
    „Nein, einfach Herzprobleme.“
    „Ein Herzleiden? Das kann für einen Mann in Ihrem Alter und mit Ihrem Körperumfang sehr gefährlich werden. Ich bedaure, das zu hören, Mr. Tajirika. Wie lange waren Sie im Krankenhaus?“
    „Ich war nicht im Krankenhaus.“
    „Sie ließen einen Privatarzt kommen?“
    „Ja … Nein …“
    „Was denn nun? Ja oder nein?“
    „Beides.“
    „Wie meinen Sie das?“
    „Ich bin zu einem Zauberheiler gegangen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir so jemanden als Arzt bezeichnen können.“
    „Ein Hexendoktor. Sieh einer an! So einer sind Sie! Einer von der Sorte Afathali Mchawi ?“
    „Es ist besser, ihn als Wahrsager zu bezeichnen.“
    „Aber, Mr. Tajirika, was, wenn Sie nun einen Bypass oder eine Transplantation gebraucht hätten? Hätte Ihr Hexendoktor das auch bewerkstelligt?“
    „Bei mir handelte es sich nicht so sehr um ein organisches Leiden“, bemühte sich Tajirika zu erklären. „Ich meinte das Herz im Sinne von Seele. So in der Art.“
    „Sie meinen, Sie waren durchgedreht? Verrückt?“
    „Neiiin! Hapana ! No, no!“ Tajirika wehrte diese Unterstellung gleich in drei Sprachen ab, um dem mehr Nachdruck zu verleihen. „Ich meinte Herz in dem Sinne, in dem wir sagen, der und der ist ein herzloser Mensch oder der und der hat ein großes Herz.“
    „Eine psychiatrische Fehlfunktion also, etwas in der Art, ist das korrekt?“
    „Ich habe keine Ahnung, was die Namen von Krankheiten angeht. Aber ich glaube, dass man einen Wahrsager als eine Art Psychiater bezeichnen kann.“
    „Mr. Tajirika, kümmern wir uns nicht weiter um Namen. Egal wie es heißt, Ihr Herzleiden muss so schwer gewesen sein, dass Sie Ihrem Büro fernblieben, gleich nachdem Sie zum Vorsitzenden von Marching to Heaven ernannt worden waren. Es sei denn …“
    „Was?“
    „… es handelte sich um einen Trick, eine ‚diplomatische Krankheit‘, oder das, was wir in unserer Arbeit Alibi nennen. Sie hecken einen Plan aus, überlassen jedoch anderen die Ausführung. Haben Sie mir nicht selber gerade gesagt, dass man das als Chef so macht?“
    „Ich verstehe nicht recht, was Sie meinen“, fragte Tajirika ein wenig verwirrt.
    „Angenommen, und wir nehmen das tatsächlich nur an, Tajirika möchte eine illegale Versammlung von Arbeitern, dem Abschaum unserer Gesellschaft, potentiellen Aufwieglern, so organisieren, dass die sich in Form einer Warteschlange vor seinem Büro aufstellen. Würde er sich dann nicht aus dem Staub machen wollen und alles der zuverlässigen Interpretin seiner Wünsche überlassen? Denn sehen Sie, wenn er dann vor einen Untersuchungsausschuss geladen wird, kann er sagen: Ich war gar nicht da. Er könnte ein Alibi angeben, eine Hotelrechnung oder die Einweisung ins Krankenhaus oder den Brief eines Arztes vorlegen. Kennen Sie die Geschichte vom Daumen und den vier Fingern? Sie waren immer

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