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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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von ihrem Kopf stammen könnten, aufzulesen und sicherzustellen.“
    Dem Herrn der Krähen war nach Lachen zumute, er unterdrückte es aber.

22
    Sikiokuu nahm die Anweisung, einen Spiegel zu besorgen, der nicht von seinem Schatten belastet war, nicht auf die leichte Schulter, so verzweifelt wünschte er sich, Nyawĩra noch vor der Rückkehr des Herrschers zu fassen. Zunächst glaubte er, das sei ganz einfach. Er würde in einer aburĩrischen Fabrik einen brandneuen Spiegel bestellen. Doch ein heimischer Spiegel war wahrscheinlich von anderen lokalen Schatten verseucht, die sich in ihn hineingedrängt hatten. Einen vollkommen reinen Spiegel konnte er nur im Ausland bekommen.
    Da er nicht alles auf eine Karte setzen wollte, bestellte Sikiokuu Spiegel in Japan, Italien, Schweden, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und in den USA .
    Doch kaum hatte er dieses Problem gelöst, kamen Njoya und Kahiga in sein Büro, um ihm das Leben schwer zu machen.

23
    Als getreue Diener des Staates und loyale Leutnants Sikiokuus fühlten sich Kahiga und Njoya verpflichtet, ihn über das zu unterrichten, was sie durch das Telefon erfahren hatten – ohne ihm jedoch zu verraten, wie es an ihre Ohren gelangt war. Vor allem aber wollten sie Sikiokuu klarmachen, welch ernste Lage er heraufbeschworen hatte.
    „Es ist unsere Pflicht, Sie über jede Bedrohung der Sicherheit des Staates in Kenntnis zu setzen“, begann Kahiga, „und wir fürchten jetzt, dass unsäglicher Ärger auf Aburĩria zukommt.“
    „Aburĩria könnte sich ungeahnten Schwierigkeiten gegenübersehen, die das Land erschüttern“, fuhr Njoya fort.
    „Was für Schwierigkeiten?“
    „Unvorstellbare“, antwortete Kahiga.
    „Und wer oder was soll die auslösen?“, fragte Sikiokuu, der an seine eigenen Indiskretionen der vergangenen Nacht dachte.
    „Der Herr der Krähen“, meinte Njoya.
    „Als Folge seiner Inhaftierung“, sagte Kahiga.
    „Er könnte einige seiner Haare einbüßen“, warnte Njoya.
    „Oder ein paar Nägel“, setzte Kahiga noch drauf.
    „Oder stürzen und sich den Knöchel verstauchen“, meinte Njoya.
    „Er könnte unter Bauchschmerzen leiden von dem Essen, das die Gefangenen bekommen“, sagte Kahiga.
    „Prügel könnten Kratzer hinterlassen.“
    „Die Glieder könnten ihm schmerzen, weil die Gefängnispritsche hart wie Stein ist.“
    „Er könnte auf die Weise verschwinden, in der in Aburĩria Staatsfeinde verschwinden“, ergänzte Njoya.
    „Und dann werden die, die etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben, vom Antlitz der Erde getilgt werden.“
    „Wie die Dinosaurier“, hob Njoya hervor.
    „Oder implodieren und in Stücke zerspringen wie ein berstender Spiegel…“
    „Haltet die Klappe!“, brüllte Sikiokuu seine Leutnants an. „Ihr Miesmacher! Glaubt ihr etwa, der Herr der Krähen ist der Zwillingsbruder Gottes?“

24
    Njoya und Kahiga waren Sikiokuus treueste Leutnants in den Kämpfen um die Macht, und ihre Uneinigkeit in dieser Angelegenheit traf ihn wie der Schmerz eines wichtigen Organs. Er dachte an den Spiegel, den er zertrümmert hatte. Die beiden Männer waren nicht im Zimmer gewesen, als er den Spiegel zerstampft hatte. Wie also kam es, dass sie ausgerechnet dieses Bild verwendeten? Hatte ihnen der Zauberer mit seiner Hexerei diese Worte in den Mund gelegt? War das der Anfang des Zusammenbruchs seiner gesellschaftlichen und physischen Existenz? Angst packte ihn.
    In der Nacht wälzte er sich hin und her; plötzlich hörte er eine fast höhnische Stimme sagen: „Der Herr der Krähen wird dich in Stücke brechen.“ Am ganzen Körper zitternd setzte er sich ruckartig auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So konnte er nicht weitermachen. Er musste sich zusammenreißen. Dann fasste er einen Entschluss. Das Leben des Hexenmeisters lag in seiner Hand. Und es gab keine Möglichkeit, dass sich der Hexenmeister noch rächen konnte, wenn er erst einmal in der Hölle war. So weit war es also gekommen: Entweder der Zauberer oder er! Er musste sich von diesem Hexer befreien. Vorher aber musste er ihn zwingen, ihm zu helfen, seine Beute zu ergreifen: Nyawĩra. Diese Ironie belebte seine boshafte Seite: Indem er Nyawĩras Verhaftung ermöglichte, würde der Herr der Krähen seine Fahrkarte in die Hölle lösen. Sikiokuu empfand eine Art inneren Frieden, als er sich seine Zukunft ohne die Bedrohung durch den Herrn der Krähen ausmalte.
    Mit diesem Entschluss hatte er wieder Klarheit in seinem Kopf erlangt, dachte er

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