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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Antrittsumschlägen.“
    Schlagartig wurde Tajirika bewusst, worauf der Herrscher die ganze Zeit hinauswollte. Hatte man ihn wirklich deshalb ins State House bestellt? Um Fragen über Geld zu beantworten, das er weder ausgegeben noch zur Bank gebracht hatte? Das Geld war verflucht, und jetzt verfolgte es ihn bis ins State House.
    „Die Umschläge? Darauf wollte ich gerade kommen. Wissen Sie, es gibt eine Verbindung zwischen den Warteschlangen und diesen Umschlägen“, sagte er, ohne zu zögern.
    Er berichtete nun, wie er von seiner Ernennung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven erfahren hatte und wie sich bald darauf vor seinem Büro eine Schlange aus potentiellen zukünftigen Vertragspartnern gebildet hatte, wie sie ihm Umschläge überreicht hatten, um sich persönlich zu empfehlen, und wie er am Ende des Tages drei Säcke mit Geld gefüllt hatte, von denen jeder mindestens fünf mal zwei Fuß groß war.
    „Drei Säcke voller Geld? Und jeder größer als fünf mal zwei? An einem einzigen Tag?“, fragte der Herrscher.
    Er konnte nicht erklären, woher oder wie es kam – vielleicht lag es an der Wissbegierde, die er in den Augen des Herrschers bemerkt hatte –, aber plötzlich kam ihm der Gedanke, sich an Kaniũrũ zu rächen, und Tajirika ertappte sich dabei, wie er die Geschichte übertrieb und sich daran erfreute.
    „Es dauerte nicht einmal einen ganzen Tag“, sagte er jetzt. „Es war eine Sache von ein paar Stunden am Nachmittag.“
    „Ein Nachmittag? Ein paar Stunden?“, drängte der Herrscher.
    „Ja, nur ein paar Stunden.“
    „Drei pralle Säcke, jeder größer als fünf mal zwei, voll mit Geld?“
    „Nicht einfach nur voll. Ich musste das Geld mit Händen und Füßen hineinstopfen, bis jeder Sack prall und schwer wie ein Sack Korn war. Aber, ach, als ich glaubte, ich hätte das Tal der Armut endlich hinter und permanenten Wohlstand vor mir, wurde ich krank.“
    Der Rachegedanke, der ursprünglich nur vage vorhanden gewesen war, wuchs und formte sich zu einem festen Plan. Bislang hatte er nur von Geld im Allgemeinen gesprochen, und seine Zuhörer verstanden das so, als spräche er über Burĩ. Aber in seinem Plan wurden die Burĩ zu Dollars. Er musste nur noch einen Weg finden, den Namen der Währung fallen zu lassen, um sich bei seinen Zuhörern den größtmöglichen Eindruck zu sichern. Tajirika machte eine Pause und senkte entmutigt den Kopf, und diese Niedergeschlagenheit war auch in seiner Stimme zu hören, als er jetzt sagte:
    „Aber nachdem ich wieder gesund war, erhielt ich nie wieder einen dieser Umschläge, vollgestopft mit Hundert-Dollar-Scheinen.“
    „Dollars? Sie haben dich mit amerikanischen Dollars bestochen?“, fragte der Herrscher.
    „Na ja, sie wollten bei mir Eindruck schinden. Einige sagten offen, sie wüssten, dass der aburĩrische Burĩ nichts wert sei und jeden zweiten Tag seinen Wert ändere wie das Chamäleon die Farbe. Burĩ ni bure , sagten einige in Kiswahili, und weil sie sich eine dauerhafte Freundschaft wünschten, glaubten sie, dies nur mit Geld bewerkstelligen zu können, das globalen, festen und beständigen Wert besitzt, und das trifft auf den amerikanischen Dollar zu.“
    „Sie haben gesagt, der Burĩ sei nichts wert?“, wiederholte der Herrscher. Er war kurz davor zu explodieren, fasste sich aber. „Und warum nachher keine Dollars mehr?“, fragte er.
    „Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, als ich von meiner Krankheit genesen war, fand ich heraus, dass mein Stellvertreter John Kaniũrũ alle Befugnisse meines Amtes übernommen hatte.“
    „Und hat dein Stellvertreter auch solche Antrittsumschläge bekommen?“, fragte er.
    „Das weiß ich nicht genau. Ich glaube, diese Frage kann wohl Minister Silver Sikiokuu am besten beantworten. Kaniũrũ arbeitet für ihn. Sie sind eng befreundet.“
    „Ich schwöre, dass ich nichts darüber weiß“, fuhr Sikiokuu erschrocken und von dieser Schlussfolgerung erschüttert auf.
    „Sprich ruhig weiter, Tajirika“, setzte sich der Herrscher über Sikiokuus Einwurf hinweg. „Bitte fahr fort.“
    „Auch wenn ich nicht viel darüber weiß“, sagte Tajirika, „habe ich doch gehört, dass die Warteschlangen zu seinem Büro umgezogen sind und Kaniũrũ bis auf den heutigen Tag einen endlosen Strom von Bittstellern empfängt. Ich habe gehört, einige hätten ihn sogar zwei- oder dreimal besucht, mit neuen und dickeren Umschlägen und weiteren Dollars, um ihre Hoffnung am Leben zu erhalten“, fügte Tajirika

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