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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Wahrheit zu bleiben, sie hier und da aber ein wenig zurechtzubiegen.
    „Ja, ich war in Santamaria, wie auch in vielen anderen Stadtteilen von Eldares. Mir war nicht bewusst, dass es verboten ist, sich in bestimmten Stadtteilen aufzuhalten.“
    „Ja, aber warum warst du dann inkognito dort?“
    „Pass auf. Ich war dort, um mich mit meinem Freund Tajirika zu treffen. Wir waren im Mars Café. Das nennst du inkognito?“
    „Warum hast du ein Taxi genommen und nicht deinen Mercedes mit Fahrer?“, ging Sikiokuu ihn an.
    „Jeder weiß, wie schwierig es ist, in der Stoßzeit durch Eldares zu fahren. Manchmal wäre sogar ein mkokoteni -Karren schneller.“
    „Ist das Taxi eine andere Strecke gefahren?“
    „Die Taxifahrer kennen sich mit den Nebenstraßen besser aus als sonst jemand.“
    „Und hast du beim Treffen im Mars Café Tajirika gebeten, in deiner Abwesenheit für dich Augen und Ohren in Aburĩria zu sein?“
    „Dreh mir nicht das Wort im Mund um“, sagte Machokali aufgebracht. „Ich habe Tajirika gesagt, dass er während meiner Abwesenheit Augen und Ohren offen halten soll bei allem, was Marching to Heaven betrifft. Mit anderen Worten, ich war nicht nur als Freund bei ihm, sondern traf mich mit ihm in seiner Eigenschaft als vom Herrscher berufener Vorsitzender von Marching to Heaven. Eigentlich hätte er als Vorsitzender zur offiziellen Delegation für die USA gehören sollen, und ich war bei ihm, um zu erklären, warum sein Name nicht auf der Liste stand. Damals wusste ich allerdings nicht, dass einige hinter meinem Rücken intrigieren, um zu verhindern, dass er seine Pflichten effektiv erfüllt. Ich wusste nicht, dass sein designierter Stellvertreter, dein Freund Kaniũrũ, Tajirika alles wegnehmen würde, womit der Herrscher ihn ausgestattet hatte“, schloss er und drohte Sikiokuu mit dem Finger, bevor er sich zu Tajirika umdrehte. „Ist es nicht so, Titus?“, fragte er mit besorgter Stimme.
    „Da hast du einiges Wahres gesagt“, antwortete Tajirika ohne sonderlichen Enthusiasmus, weil er immer noch verärgert war, nicht zur Delegation gehört zu haben.
    Der Herrscher war immer dann am glücklichsten, wenn sich seine Minister, vor allem diese beiden, gegenseitig an die Gurgel gingen, weil er in diesen hitzigen Wortgefechten stets das eine oder andere erfuhr, das sie vor ihm verbargen. Im Augenblick aber wollte er nicht, dass die Säcke mit dem Geld in Vergessenheit gerieten. Immerhin standen Dollars, nicht Burĩ, auf dem Spiel. Drei, sechs, neun Säcke voller Dollars am Tag? Vielleicht sogar mehr?
    „Sikiokuu, ich hatte dich gefragt, wie viele Monate vergangen sind, seit Kaniũrũ den Posten als Stellvertretender Vorsitzender von Marching to Heaven übernahm. Du bist mir die Antwort noch schuldig“, sagte der Herrscher zu Sikiokuu.
    Bevor Sikiokuu antworten konnte, kam die Nachricht, dass Kaniũrũ eingetroffen sei und vor der Tür warte.
    „Dann wollen wir dem Gaul mal ins Maul schauen“, sprach der Herrscher.

5
    Selbstbewusst betrat Kaniũrũ den Raum, eine Aktentasche in der rechten Hand. Ins State House einberufen zu werden, egal aus welchem Grund, war eine große Ehre für ihn. Doch ein Blick zu Sikiokuu reichte, und er wusste, dass nicht alles zum Besten stand. Dann sah er, wie der Herrscher auf ihn zeigte. Die Größe der Hand und die des Herrschers überraschten Kaniũrũ, doch weder zeigte er es, noch ließ er sich davon aus der Fassung bringen.
    „Wir erwarten einen vollständigen Bericht des Stellvertretenden Vorsitzenden von Marching to Heaven“, sprach der Herrscher und wies ihm den Stuhl neben Sikiokuu zu.
    Anschließend befahl er Tajirika, sich neben Machokali zu setzen, sodass sich die beiden Paare gegenübersaßen. Diese Anordnung erlaubte dem Herrscher, jederzeit alle im Blick zu haben.
    „Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, ich habe eine Menge zu berichten, weiß aber nicht, wo und wie ich beginnen soll“, sagte Kaniũrũ, während er seine Aktentasche öffnete und großtuerisch Akte um Akte herausholte und sie vor sich auf den Boden legte.
    „Warum fängst du nicht bei den Besuchern an, die dir Geld bringen?“, forderte der Herrscher.
    Kaniũrũ sah jedoch keineswegs beunruhigt aus. Die Frage und der feindselige Ton bestätigten nur seine Beobachtung, dass Sikiokuu in Schwierigkeiten steckte und sein Freund im Falle einer Krise nicht in der Lage sein würde, ihm zu helfen. Jeder stirbt für sich allein.
    Er ließ sich Zeit, seine Akten und Quittungen zu sortieren.

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