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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Selbstmitleid hinzu. „Ich frage mich: Warum ausgerechnet mit mir?“
    Während Sikiokuu vom Verlauf der Befragung verwirrt und besorgt zugleich war, fühlte sich Machokali etwas erleichtert, weil sich das Gespräch von der Anklage des Hochverrats entfernte. Bei dem Gedanken, dass sein Freund von Frauen verprügelt worden war, war ihm sogar nach Lachen zumute, aber er beherrschte sich.
    „Das ist nicht zum Lachen“, sprach der Herrscher, als hätte er Machokalis Gedanken erraten. „Das ist sehr ernst“, fügte er mit Nachdruck hinzu, weil ihm das schmachvolle Ereignis von Eldares einfiel, allem voran die Forderung der Frauen, Rachael freizulassen. Irgendwie, ausgelöst durch diese Erinnerungen, fühlte sich der Herrscher Tajirika verbunden, als eine Art Leidensgenosse, der ebenfalls von Frauen bloßgestellt worden war. „Sprich weiter, Titus“, sagte er.
    Tajirika spürte das Mitleid in der Stimme des Herrschers, was ihm die nötige Kraft und den Mut gab, die Geschichte seiner Unglücksfälle zu erzählen. Er berichtete, wie die Frauen ihn entführt und ihn später der häuslichen Gewalt angeklagt hatten, bevor sie ihn zu etlichen Stockhieben verurteilten, und als er jetzt zum Ende seiner Leidensgeschichte kam, fühlte sich Tajirika von Dankbarkeit und Freude überwältigt, weil er sein Leid mit einem mitfühlenden Zuhörer teilen konnte. Möge seine Heilige Vortrefflichkeit für immer und ewig leben, sang er im Stillen.
    „Und was hat Sikiokuu damit zu tun?“, fragte der Herrscher.
    „Nichts. Absolut nichts!“, antwortete Sikiokuu und schlenkerte mit den Ohren.
    „Du bist nicht gefragt“, wies der Herrscher ihn zurecht.
    „Eines verstehe nicht: Warum hat mir Sikiokuu verboten, meine Frau zu verprügeln? Oder lassen Sie es mich so sagen: Sikiokuu befiehlt mir, meine Frau nicht zu schlagen. Ich aber mache mich über sie her, weil ich mein männliches Vorrecht ausüben will. Kaum eine Woche vergeht, und diese Frauen entführen mich. Nachdem sie mich bestraft haben, warnen sie mich, meine Frau zu schlagen, und genau das hatte ich zuerst von Sikiokuu gehört. What a coincidence!“
    „Das sind keine echten Frauen“, rief Sikiokuu verzweifelt. „Das waren Schatten, die der Herr der Krähen erzeugt hat.“
    Tajirika sah zur Tür, als hätte er Angst, der Zauberer könnte dort auftauchen. Machokali und der Herrscher taten dasselbe, aber Letzterer gab vor, nicht richtig gehört zu haben, und heftete den Blick jetzt auf Sikiokuu. Ein paar Sekunden herrschte absolute Stille.
    „Bei mir waren es echte Frauen“, brach Tajirika das Schweigen.
    „Wann haben diese Frauen dich verprügelt?“, fragte Machokali mitleidig.
    „Während der Herrscher in Amerika war“, antwortete Tajirika und nannte den genauen Tag.
    „Aber zu der Zeit war der Herr der Krähen ebenfalls in Amerika“, sagte Machokali und vergaß, dass Tajirika nichts davon wusste.
    Der Herrscher, Sikiokuu und Tajirika blickten zu Machokali, jedoch aus unterschiedlichen Gründen: der Herrscher, weil durch Machokalis Erwähnung des Herrn der Krähen in ihm der Schmerz wieder lebendig wurde, den der Brief des Zauberers ausgelöst hatte; Sikiokuu, weil er genau wusste, dass Machokali bemüht war, eine Geschichte am Leben zu erhalten, die seinen Interessen zuwiderlief; und Tajirika, weil er zum ersten Mal hörte, dass der Herr der Krähen in Amerika gewesen war. Was für Spielchen versuchten die beiden Minister zu treiben, wenn Sikiokuu behauptete, die Frauen, die ihn verprügelt hatten, seien bloße Schatten gewesen, und Machokali sagte, der Herr der Krähen sei irgendwie aus dem Gefängnis entkommen und nach Amerika gereist? Tajirika überlegte.
    „Ich weiß nicht, ob der Herr der Krähen in Amerika war oder nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn im Gefängnis zurückgelassen habe“, sagte Tajirika.
    „Du warst im Gefängnis?“, fragte der Herrscher. In den Berichten, die er am Abend zuvor gelesen hatte, war das nicht erwähnt worden. „Warum warst du im Gefängnis?“
    „Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, ich hatte vor, Sie darüber und über andere Dinge zu informieren“, mischte sich Sikiokuu ein. „Tajirika war nicht richtig eingesperrt – es war eher eine Art Schutzhaft. Oder, Titus?“, fragte Sikiokuu und hoffte, Tajirika würde das bestätigen.
    „Nein, nein“, protestierte Tajirika. „Ich war richtig inhaftiert. Ich war in einer richtigen Gefängniszelle eingesperrt. Aber Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, in einer Zelle eingesperrt

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