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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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alles sei, was ihn nach Aburĩria geführt habe.
    Der Sondergesandte antwortete, dass er tatsächlich noch eine weitere Botschaft habe, die aber nur für die Ohren des Herrschers bestimmt sei, wobei er den Ministern einen nervösen Blick zuwarf.
    Dem Herrscher wäre es lieber gewesen, wenn die Entschuldigung in Anwesenheit der Minister ausgesprochen worden wäre. Diese Entschuldigung würde die Demütigung lindern, die er in Amerika vor ihnen hatte erdulden müssen. Trotzdem hellte sich sein Gesicht etwas auf, weil die Minister nun sahen, dass seine Beziehung zu Amerika immer noch eng genug war, eine Botschaft zu rechtfertigen, die nur durch einen Sondergesandten des mächtigsten Präsidenten der Welt und nur unter vier Augen überbracht werden konnte.
    Die Minister verließen den Raum. Der Gesandte verschwendete keine Zeit mit höflichen Floskeln.
    „Wie ich vor einigen Minuten sagte, sind Freunde deshalb Freunde, weil sie offen miteinander reden. Und darum hat mich mein Präsident zu Ihnen geschickt, weil er und andere Führer der westlichen Welt sich wegen der Berichte Sorgen machen, die Ihren Gesundheitszustand betreffen – Sie wissen ja, manche Gedanken sind wirklich schwer in Worte zu fassen. Eure Vortrefflichkeit, ich bin mir sicher, dass Sie wissen, wovon ich spreche: Dieses Gerücht, das die internationalen Medien veranlasst hat, in Ihr Land einzufallen. Uns ist außerdem zu Ohren gekommen, dass Sie eine geldtreibende Pflanze entwickeln oder anbauen wollen, um Dollars und andere westliche Währungen zu züchten. Ich denke, Sie wissen, dass jedweder nicht genehmigte Druck und die Verbreitung von Dollars nicht nur den internationalen Gesetzen nach ein Verbrechen sind, sondern auch unsere wie die gesamte Weltwirtschaft destabilisieren würde. Und das wird der Westen nicht hinnehmen. Natürlich glauben wir diesen Gerüchten nicht, und ich werde solches Gerede nicht dadurch ehren, dass ich Sie frage, ob es wahr ist. Aber es gibt andere Dinge, die außer Zweifel stehen. Dabei geht es um Ihre öffentlich verkündete Absicht, so etwas wie einen modernen Turmbau zu Babel zu errichten, den Sie Marching to Heaven nennen. Ihre Freunde im Westen fragen Sie deshalb: Haben Sie, Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, schon mal daran gedacht, es locker angehen zu lassen? Ich meine, mal eine Auszeit zu nehmen, Urlaub zu machen oder so etwas? Ich glaube, es waren Ihre Vorfahren, die immer gesagt haben, das Alter muss den Stab der Weisheit an die Jugend weitergeben. Sie haben junge Minister, die Sie lieben und Ihre Vision mittragen. Das haben Sie vor uns zum Ausdruck gebracht. Wir fragen uns, und man hat mir aufgetragen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das lediglich ein Vorschlag von Freunden ist: Warum lassen Sie es nicht locker angehen und überlassen das Präsidentenamt einem der jungen Männer? Die könnten Sie von ihrem täglichen Stress befreien. Ihre Ahnen haben etwas vom Stein des Alters und der Weisheit gesagt. Sie könnten ein großer Staatsmann im Ruhestand sein, der mit seiner außergewöhnlichen Erfahrung Ratschläge gibt.“
    Wäre der Gesandte ein Staatsbürger Aburĩrias gewesen, er hätte sich sofort einem Erschießungskommando gegenüber gesehen. Der Herrscher verstand nur zu gut, was man ihm da sagte: dass er senil sei und zum Regieren nicht mehr fähig. Diese Haltung verwirrte ihn, weil sie widersprüchlich war. Einerseits warnten sie ihn vor Gewaltanwendung, nur um ihm im nächsten Augenblick zu sagen, dass er unfähig war, die Macht auszuüben? Wie konnten sie ihm vorschreiben, nicht die Armee auf das eigene Volk loszulassen, und ihm anschließend vorwerfen, dass er zu senil sei, genau das zu tun? Er wollte sie am liebsten rauswerfen, kämpfte aber um Haltung und fragte sich, welchen seiner Minister sie als Nachfolger im Auge hatten.
    Der Gesandte glaubte, der Herrscher gäbe nach und dächte ernsthaft über seinen Vorschlag nach; deshalb beeilte er sich, es ihm noch verlockender zu machen.
    „Vielen Dank, dass Sie unsere Anregungen in Betracht ziehen. Sie sind ein weiser Mann, Eure Vortrefflichkeit, und der Westen wird dafür bürgen, dass für Ihren Wohlstand und den Ihrer Familie und Freunde gesorgt ist. Wir wollen auch für seine Vermehrung garantieren. Und wir werden dafür sorgen, dass Ihr Nachfolger ein Gesetz durchbringt, durch das Sie niemals wegen irgendwelcher Handlungen in Ihrer Zeit als Staatsoberhaupt vor Gericht gestellt werden können. Und selbstverständlich, wenn Sie das Gefühl

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