Herr der Krähen
gehen und mit Nyawĩra zusammen sein. Er hatte Heimweh und das Gefühl, er sei jahrelang fort gewesen. Gleichzeitig musste er immer wieder daran denken, zu welchem Albtraum sein Leben vor seiner Abreise nach Amerika geworden war. Man hatte ihn festgenommen, gezwungen, mit Tajirika eine Gefängniszelle zu teilen, hatte ihn entlassen und in ein Flugzeug in die USA gesetzt, wo es ihm nicht gelungen war, sich wieder dem Gefolge des Herrschers anzuschließen. Und in New York hatte er Dinge gesehen und erlebt, die er sich niemals hätte träumen lassen. Wird es mir jetzt, da ich zurück bin, gelingen, so fragte er sich, mein Leben wieder aufzunehmen und mich nicht in das Chaos hineinziehen zu lassen, das vom Herrscher und seinesgleichen ausgeht? Werden mich die Machokalis und Sikiokuus in Frieden lassen? Er wollte nur mit Nyawĩra zusammen sein und weiter die Bedürftigen heilen. Das war es, was Kamĩtĩ vorschwebte, als er mit dem Bus vom Flughafen ins Zentrum von Eldares fuhr, um ein matatu nach Santalucia zu nehmen.
Einige der Passagiere redeten über den Besuch des Herrschers in Amerika und wie gut dieser verlief. Wie würden sie reagieren, wenn ich ihnen sagte, dass der Herrscher an einer Art selbst induzierter Aufblähung leidet? Was, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich soeben aus Amerika zurückkomme und den Herrscher und seine Begleiter gerade erst im VIP-Hotel zwischen der Fünften und Sechsten Avenue in Manhattan, in der Nähe des Washington Square und der New York University, zurückgelassen habe?
Es war früh am Morgen, als er in Santalucia ankam. Er dachte an die Zukunft mit Nyawĩra und jetzt, da ihr Wiedersehen unmittelbar bevorstand, fragte er sich, wie er auf sie und die Entwicklungen im Schrein reagieren würde. Sollte er auf sie zustürmen und sie umarmen oder sollte er sich hinter der Hecke verstecken und sich heimlich von hinten an sie heranschleichen und ihr die Augen zuhalten?
Knapp zweihundert Meter vom Schrein entfernt blieb er plötzlich stehen und rieb sich die Augen. Sah er richtig? Er schaute noch einmal hin. Bin ich irgendwo falsch abgebogen? Aber selbst wenn ich blind wäre, würde ich den Weg nach Hause finden. Er eilte weiter. Doch je näher er kam, desto mehr spürte er, wie die Kraft Arme und Beine verließ. Er blieb stehen.
Dort, wo das Haus gestanden hatte, das Nyawĩra und er zusammen errichtet hatten, sein Heim, sein Schrein, lag jetzt ein verbrannter, schwarzer Schutthaufen.
3
Einige Meter entfernt kauerte eine Katze, die ihn mit grünen Augen anstarrte, während er teilnahmslos umherging, hier und da etwas aufhob und wieder fallen ließ. Wo fange ich an, sie zu suchen?, fragte er sich und setzte sich, um zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Und was, wenn das Feuer kein Zufall gewesen war?
Er würde die Nachbarn fragen, aber der nächste wohnte in einiger Entfernung. Er musste vorsichtig auf sie zugehen, damit kein Misstrauen aufkam, wer er war und warum ihn die Sache überhaupt interessierte.
Die Reaktionen der Nachbarn, mit denen er redete, waren allesamt beunruhigend. Seine Begrüßung wurde immer freundlich erwidert, aber sobald er den Schrein des Herrn der Krähen erwähnte, veränderten sich Gesichtsausdruck und Verhalten – Angst trat in die freundlichen Augen. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, sagten sie im Weggehen, wenn sie sich wieder ihrer Tätigkeit zuwandten oder ihm die Tür vor der Nase zuschlugen. Er hörte auf, an Türen zu klopfen, und suchte stattdessen in den Straßen der Stadt.
Er begegnete einem alten Mann, der ein Paket trug, das am Ende eines Stocks über seiner Schulter hing. Kamĩtĩ verzichtete auf Höflichkeiten und fragte ihn nach dem abgebrannten Schrein. Der alte Mann rannte davon und schrie, als wollte er die ganze Welt wissen lassen, dass er sich auf der Flucht befand: „Meine Schuhe rauchen; seid meine Zeugen, ich renne so schnell, dass meine Sohlen rauchen!“ In glücklicheren Zeiten hätte Kamĩtĩ darüber gelacht.
Er setzte sich auf einen Erdhügel und bedeckte das Gesicht mit den Händen, als wollte er Tränen zurückhalten. Er fühlte sich erledigt. Er hatte Nyawĩra aus Amerika angerufen, aber die Leitung war tot gewesen, was allerdings für die Telefone in Aburĩria nicht ungewöhnlich war. Deshalb hatte er sich keine Gedanken gemacht.
Plötzlich spürte er, dass er nicht allein war. Er machte die Augen auf und zuckte zusammen, als er den alten Mann vor sich stehen sah; er hatte keine Schritte
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