Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
der führenden Industriedemokratien hätten ihn geschickt, um ihre große Besorgnis über die Geschehnisse im Staat Aburĩria zu übermitteln, vor allem wegen der grundlosen Übergriffe auf Mitarbeiter der internationalen Presse. Sie seien außerdem beunruhigt über das immer wieder aufkommende Schlangestehen im Land, insbesondere wegen der Zusammenstöße zwischen Befürwortern und Gegnern des Schlangestehens. Angesichts der Möglichkeit eines vollständigen Zusammenbruchs von Recht und Ordnung seien sie sehr alarmiert, denn es gäbe nichts Schlimmeres für die Menschen, als wenn ihr Land in die Hände von Verbrechern, Gangstern und Warlords fallen und zum Rückzugsgebiet von Terroristen würde.
    Als er das Wort „Schlangestehen“ aus dem Mund des Sondergesandten hörte, fühlte sich der Herrscher zurechtgewiesen und kritisiert, unfähig zu sein, sein eigenes Volk unter Kontrolle zu halten, und deshalb schnitt er dem Mann mit einem ironischen Lachen das Wort ab. Dann belehrte er ihn, die Regierung habe sich bereits für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, die die ausländischen Journalisten erlitten hätten. Er habe seine Bürger streng davor gewarnt, westlichen Journalisten jemals wieder ein Haar zu krümmen oder Unannehmlichkeiten zu bereiten. Aber dafür wäre wohl eine Gegenleistung angebracht. Schlangestehen als Ausdruck von Ordnung, Organisiertheit und Disziplin sei eine sehr westliche Vorstellung, und sie sollten bedenken, dass sie sich in Aburĩria in Afrika befänden, wo die Menschen sich stärker vom Gefühl als von der Vernunft leiten ließen, weshalb es den Aburĩriern „Spaß mache“ zu drängeln und zu raufen. „Ihr Botschafter hätte Ihnen sagen sollen, dass wir ein Volk der Warmherzigkeit sind, dem die Köpfe nicht mit Ideen zugeschwollen sind, und das ist der Grund, warum wir gerne tanzen und unser Haus für Gäste immer offen steht. Aber ein Gast hält sich an die Regeln, die der Gastgeber aufstellt. Wenn Sie sich also in Aburĩria aufhalten, benehmen Sie sich wie die Aburĩrier.“
    Was die nicht genehmigten Warteschlangen angehe, so sollten sie nicht an seiner Fähigkeit zweifeln, ihnen ein Ende zu bereiten. Er unterbrach sich und schickte nach den Oberbefehlshabern von Armee und Polizei. Die sollten seinen Besuchern die bereits eingeleiteten Maßnahmen gegen nicht genehmigte Umzüge, vor allem von Frauen, erklären, mit denen er eine Lektion erteilen werde, die niemand vergessen würde. Doch der Herrscher gab den Befehlshabern nicht die Gelegenheit zu sprechen – er redete einfach weiter. Er erinnerte den Botschafter und den Sondergesandten daran, was er getan hatte, als er Präsident des Landes geworden war. Amerika scheine vergessen zu haben, wie er in den frühen Tagen des Kalten Krieges die kommunistische Rebellion in Aburĩria zerschlagen habe.
    „Sie haben mich lachen gehört und sich vielleicht gewundert, warum“, fuhr er fort. „Ich war irritiert über das kurze Gedächtnis einer Supermacht.“
    Der Herrscher war stolz, siebentausendsiebenhundert Bürger in nur sieben Tagen eliminiert zu haben, weil sie mit ihren Protesten in den Großstädten und ihrer Forderung nach gesellschaftlichen Veränderungen zu einer Bedrohung der Stabilität geworden waren. Er werde nun die Gelegenheit nutzen, sagte er, alte Freundschaft zu erneuern und sich ihr Vertrauen zu verdienen, indem er zeige, dass er es nicht verlernt habe, wie man mit starker Hand gegen Dissidenten vorgehe.
    „Was ich früher gegen die Kommunisten unternommen habe, kann ich heute gegen Terroristen unternehmen!“, sagte er behutsam und überlegt und drehte den Kopf zu den Befehlshabern von Armee und Polizei.
    „Ja“, bekräftigte der Kommandeur der Armee, „wir warten darauf, dass dieses Pöbelheer, über das uns zuerst ein Motorradfahrer berichtet hat, die Hauptstadt erreicht. Dann werden wir es mit den gepanzerten Fahrzeugen und Waffen, die Sie uns vor einiger Zeit verkauft haben, einkesseln. Sie sind zwar gebraucht, aber immer noch tödlich, wenn man sie gegen unbewaffnete Zivilisten einsetzt.“
    „Ein nationales Massaker. Im Fernsehen übertragen. Live“, fügte der Polizeichef mit unverkennbarem Stolz hinzu.
    „Jetzt haben Sie es aus berufenem Munde vernommen“, sprach der Herrscher und wandte sich wieder dem Sondergesandten und dem Botschafter Gemstone zu. „Alles unter Kontrolle“, fügte er hinzu. „Fürchten Sie sich nicht vor denen, die Ihre Interessen und die unseren bedrohen, die Gewehre warten auf

Weitere Kostenlose Bücher