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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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sie.“
    Der Sondergesandte räusperte sich und antwortete: „Sie haben einen Punkt angesprochen, den ich im Auftrag unseres Präsidenten mit Ihnen diskutieren soll. Der Westen wie die gesamte zivilisierte Welt sind Ihnen ewig dankbar für die Rolle, die Sie bei unserem Sieg über das Reich des Bösen gespielt haben. Jetzt widmen wir uns einer neuen Mission: dem Schaffen einer neuen Weltordnung. Deshalb besuche ich jetzt alle unsere Freunde, um sie aufzufordern, mit der Welt Schritt zu halten. Alles hat seine Zeit, sagt der Prediger. Es gab eine Zeit, in der Sklaverei gut war. Sie erfüllte ihren Zweck, und als sie kein Kapital mehr abwarf, wurde sie welk und starb eines natürlichen Todes. Der Kolonialismus war gut. Er verbreitete die industrielle Kultur der gemeinsamen Ressourcen und Märkte. Jetzt aber den Kolonialismus zu neuem Leben zu erwecken, wäre völlig falsch. Es gab eine Zeit, in der der Kalte Krieg all unsere inneren wie äußeren Beziehungen bestimmte. Er ist vorbei. Wir befinden uns jetzt in der Ära nach dem Kalten Krieg, und unsere Beziehungen werden von den Gesetzen und Erfordernissen der Globalisierung getragen. Die Geschichte des Kapitals lässt sich in dem Grundsatz ,Auf der Suche nach Freiheit‘ zusammenfassen. Freiheit zu expandieren. Und nun besteht die Möglichkeit, dass die gesamte Welt zum Spielfeld des Kapitals wird. Soll es sich nach den Erfordernissen seiner Logik bewegen können, so benötigt es einen demokratischen Raum. Deshalb hat man mich zu Ihnen geschickt, um Sie zum Nachdenken anzuregen, Ihr Land in eine Demokratie umzuwandeln. Wer weiß? Vielleicht wollen einige Ihrer Minister mit Ihrem Segen Oppositionsparteien gründen.“
    „Nein, nein“, beeilten sich die Minister einhellig zu beteuern. „Wir hier in Aburĩria kennen nur Eine Wahrheit, Eine Partei, Ein Land, Einen Herrscher, Einen Gott.“
    „Ihre und unsere Ansichten sind nicht allzu weit voneinander entfernt“, erläuterte der Gesandte. „Ich will Ihnen unsere Position verdeutlichen. Wir können mit der alten Politik des Kalten Krieges keine Weltwirtschaft aufbauen. Wir schlagen Folgendes vor: Viele Parteien, ein Ziel – eine freie und stabile Welt, in der unser Geld ohne Behinderung durch den irregeleiteten Nationalismus eines altmodischen Nationalstaates die Grenzen überschreiten kann. Das Ziel besteht darin, die Ressourcen und Energien des Globus freizusetzen. Alle Länder und Völker werden davon profitieren.“
    Der Herrscher war wütend, weil er vor seinen Ministern belehrt wurde. Er hatte sie eingeladen, damit sie miterlebten, wie ein Sondergesandter eine Entschuldigung vortrug, und nun hörten sie statt eines „Es tut uns leid“, dass er gemaßregelt und herumkommandiert wurde. Er versuchte, seine Wut zu beherrschen, und fragte sich verwirrt, wodurch seine Beziehung zu Washington, London, Berlin und Paris so mies geworden sein konnte, dass sie sich veranlasst sahen, einen Sondergesandten loszuschicken, der ihn vor seinem versammelten Kabinett tadelte. In den Tagen des Kalten Krieges hatten sie ihn mit Lob überschüttet, weil er Tausende seiner Bürger ins ewige Schweigen befördert hatte. Und jetzt hielten sie ihm, obwohl er versichert hatte, dass er bereit war zu wiederholen, was er für sie getan hatte, einen Vortrag über Zurückhaltung und eine neue Weltordnung! Seine Würde war verletzt. Er musste seinen Ministern beweisen, vor dem Sondergesandten keine Angst zu haben, auch wenn der ein Abgesandter des Westens war.
    „Mr. Sondergesandter, ich will Ihnen sagen, dass wir ein unabhängiges Land und nicht bereit sind, ständig Befehle aus dem Westen zu empfangen. Der Kolonialismus ist Vergangenheit und liegt auf der Müllhalde der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir hier in Afrika sind und dass auch wir unsere afrikanischen Regierungsformen haben. Die Demokratie, die für Europa und Amerika angemessen ist, muss nicht zwangsläufig auch für Afrika das Richtige sein. Hier bei uns gibt es ein Sprichwort: Man baut sein Haus nicht nach den Bedürfnissen seines Nachbarn. Wir versuchen gar nicht erst ,to keep up with the Joneses‘, wie ihr Amerikaner sagen würdet.“
    „Wir sind Ihre Freunde“, erwiderte der Gesandte, „und Freunde vertiefen ihre Freundschaft, indem sie offen miteinander reden.“
    „Dann sollten wir darin einig sein, dass wir uns nicht einig sind“, sprach der Herrscher und fragte mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme, ob das

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