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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Die Anstellung, die ich jetzt habe, ist eigentlich keine richtige Stelle – sie ist befristet, sozusagen“, fügte sie hinzu und zögerte, bevor sie mit gesenkter Stimme weitersprach, als redete sie mit sich selbst. „Es gab mal eine Zeit, da habe ich mich gefragt, was dieser BA bringt, für den ich so sehr gekämpft habe. Er ist sinnlos wie Hundescheiße, habe ich mir frustriert gesagt. Sogar Leute mit Doktortitel sind arbeitslos und laufen sich auf der Suche nach Arbeit die Füße wund. Oft genug können sich diese Doktoren nur mit Bestechung eine Stelle verschaffen. Und anderen sagt man, sie sollten eine Abordnung von Ältesten aus ihrem Heimatdorf zum State House schicken, damit sich diese beim Herrscher für sie verwenden können – nur, um eine Arbeit zu kriegen. Und wer ist schuld daran? Die Abschlusszeugnisse? Das hat mich zum Lachen gebracht. Die Zeugnisse kann man nicht verantwortlich machen. Was hatten Sie gerade gesagt? Die Welt ist so, wie sie ist, und wird immer so sein? Die Welt steht auf dem Kopf und sollte endlich auf die Füße gestellt werden, und zwar von denen, die in ihr leben, um mal eine Zeile aus der Hymne zu verwenden.“
    Noch immer beschäftigt mit seiner jüngsten Demütigung, achtete Kamĩtĩ zunächst nicht darauf, was die Frau sagte. Als ihm dies aber bewusst wurde, riss es ihn aus der Beschäftigung mit seinem verletzten Selbst.
    „Sie haben einen Universitätsabschluss? Darauf wäre ich nie gekommen …“
    „Warum nicht? Ich habe doch keinen Stempel auf der Stirn“, sagte die Frau ziemlich barsch, bevor sie lachte und die Hand ausstreckte. „Ich heiße Nyawĩra. Grace Nyawĩra, aber Nyawĩra ist mir lieber.“
    „Ich heiße Kamĩtĩ wa Karĩmĩri. Es gab aber eine Zeit, da wurde ich Komet Kamĩtĩ genannt.“
    „Komet? Das ist mal was Neues.“
    „Als kleiner Junge habe ich irgendwo etwas über Sterne und Kometen gelesen, die durch das All flitzen, und habe gesagt: Das ist jetzt mein Vorname.“
    „Komet? Ein Vorname?“
    „Wieso nicht? Er ist genauso europäisch wie Ihr Grace.“
    „Als ich in die Brilliant Girls High School ging, war ich für das Tischgebet zuständig. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, etcetera. Meine Mitschülerinnen fingen an, mich Grace zu rufen, und bald habe ich meinen eigentlichen Vornamen Engenethi durch Grace ersetzt.“
    „Engenethi? Abgeleitet von Ingrid?“
    „Ich glaube eher, es kommt von Agnes.“
    „Engenethi? Ingrid oder Agnes? Ein christlicher Vorname?“ Jetzt war er es, der sich laut wunderte.
    „Na ja, zumindest klang es europäisch“, sagte sie. „Alle europäischen Namen sind christlich, die afrikanischen satanisch“, fügte sie mit einem gequälten Lächeln hinzu.
    „Haben Sie das aus dem Roman, den Sie da im Büro gelesen haben, ‚Shetani Msalabani‘, ‚Satan am Kreuz‘ – oder wäre ‚Der gekreuzigte Teufel‘ richtiger?“
    „Wann haben Sie denn Ihre Augen verdreht, um herauszubekommen, was ich lese?“, fragte Nyawĩra und berührte ihre Handtasche, um zu zeigen, dass sie das Buch dabeihatte.
    Beide lachten, und zum ersten Mal seit längerer Zeit spürte Kamĩtĩ, wie die Schwere in ihm abnahm. Er lauschte aufmerksam ihrer Geschichte.
    Grace Nyawĩra hatte die Eldares University besucht und ihren Abschluss in Englisch, Geschichte und Theaterwissenschaft gemacht. Danach fand sie lange keine Anstellung und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Was ihr half, an die Aushilfsjobs zu kommen, war nicht ihr Universitätsabschluss, sondern ein Computerkurs, den sie am Ruler’s Polytechnic in Eldares belegt hatte.
    „Man könnte uns zwei als Leidensgefährten bezeichnen“, meinte Kamĩtĩ mit munterer Stimme.
    „Zwei vom gleichen Schlag“, sagten sie gleichzeitig und sahen einander überrascht an, bevor sie wieder in Gelächter ausbrachen.
    „Wie dem auch sei, Sie haben den Fluss der Leiden bereits durchquert. Sie haben einen Job!“, sagte Kamĩtĩ.
    „Man kann es kaum eine richtige Arbeit nennen. Ich vertreibe mir mit diesem Aushilfsjob einfach die Zeit und warte darauf, dass das Glück vorbeikommt.“
    „Wann haben Sie hier angefangen?“
    „Es ist noch nicht lang her. Warten Sie. Kurz nachdem die Nation dem Herrscher diesen speziellen Geburtstagskuchen aufgetischt hat. Wann war das gleich?“
    „Keine Ahnung“, meinte Kamĩtĩ. „Ich bin nicht auf dem Laufenden, was politische Ereignisse angeht.“
    „Sie wollen mir weismachen, dass Sie nicht dabei waren,

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