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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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und Rizinussamen zu essen gab. Taube habe nun gehört, dass dieser Jemand sich an einem Ort befinde, an dem ihn die Blicke eines gewöhnlichen Bürgers nicht mehr erreichen könnten. Taube sei hungrig und bitte Vinjinia, alles, was sie könne, über diesen Jemand herauszufinden, wo er sich aufhalte, wie es ihm gehe, derlei Dinge. Vinjinia solle versuchen, diesem Jemand zu sagen, dass Taubes Nest zwar abgebrannt, Taube aber wohlauf sei und dieselbe Luft atme wie alle anderen Vögel des Landes. Maritha schloss ihre Geschichte, indem sie Vinjinia sagte, dass sie, wenn sie Taube Rizinussamen überbringen wolle, die Samen an jedem Sonntag in die All Saints Cathedral liefern solle, und Maritha würde dafür sorgen, dass Taube sie bekomme.
    Nachdem sie die Geschichte beendet hatte, zupfte Maritha an Marikos Ärmel und sie stiegen aus, ohne eine Antwort abzuwarten. Im Tanzschritt zogen sie davon und sangen laut:
    Taube gab mir einen Auftrag, mmhh
    Braucht nen größeren Schnabel, mmhh …
    Während sie davonfuhr, dachte Vinjinia über Taubes Nachricht nach. Nyawĩra wollte etwas über den Herrn der Krähen erfahren.
    Über eine Woche lang dachte Vinjinia an nichts anderes als an Nyawĩra und ihre Nachricht. Was für ein unpassender Zeitpunkt, an dem Nyawĩra jetzt störte! Gerade, als ihr Leben mit Tajirika langsam besser wurde! Nyawĩra erwartete, dass sie ihren Mann aushorchte, aber wie sollte sie das anstellen? Tajirika war zu einem geachteten Akteur in der Regierung aufgestiegen. Nyawĩra hingegen war eine verhasste Staatsfeindin. Wie konnte sie mit einer Feindin ihres Mannes gemeinsame Sache machen?
    Sie war innerlich zerrissen. Sie dachte an ihre letzte Begegnung mit Nyawĩra und wie ihr das Herz vor Dankbarkeit übergeflossen war und sie Nyawĩra versprochen hatte, sich auf sie verlassen zu können, wann immer sie in Not sei. Ein Versprechen war eine Art Vertrag, und sie konnte es nicht brechen. Dennoch, sagte sie zu sich, war niemand dazu verpflichtet, ein Versprechen zu halten, das ihn selbst und die ihm Nahestehenden vernichtete.
    Sie ging so weit, in Betracht zu ziehen, Nyawĩras Aufenthalt herauszufinden und sie zum Vorteil ihres Mannes auszuliefern. Andererseits gab es eine weitere Möglichkeit. Ihr Mann hatte sie gebeten, einen Hexenmeister zu suchen, der den Herrn der Krähen heilte. Und wer könnte das besser als der zweite Herr der Krähen? Damit würde sie Nyawĩra helfen, und Nyawĩra wäre für sie nützlich. Dann könnte sie sie verraten oder es vielmehr Tajirika tun lassen, und auf diese Weise würde Tajirika in der Regierung aufsteigen und vielleicht sogar der Nachfolger des Herrschers werden. Ihr Mann wäre in ewiger Dankbarkeit an sie gebunden.
    Am nächsten Morgen eilte Tajirika zum State House, um sich mit dem Herrscher zu beraten. Und Vinjinia eilte am folgenden Sonntag zur All Saints Cathedral, um sich mit Maritha und Mariko zu treffen.

19
    Die Nachricht kam aus dem State House und wurde von Informationsminister Big Ben Mambo über alle Medien verbreitet. Der Herrscher hatte eine Philosophie entwickelt, die die Menschen vom neuzeitlichen Stress der Moderne heilen würde. Die Regierungsdruckerei gab sogar eine Broschüre heraus: „Magnus Africanus: Prolegomena einer Zukünftigen Glückseligkeit, verfasst vom Herrscher.“ Im Buch stand unter anderem, dass dem Herrscher während der Zeit seines Rückzugs und der Meditation offenbart worden sei, die wahre Bedrohung der Zukunft Aburĩrias bestünde in der Vernachlässigung der Tradition durch Menschen, die einer stressvollen Modernität nachjagten.
    Und deshalb sollten dem „Magnus Africanus“ zufolge Kinder und Jugendliche, selbst diejenigen an der Universität, den Rat der Erwachsenen suchen und befolgen, und wenn sie das nicht täten, den Rohrstock auf dem blanken Gesäß zu spüren bekommen. Frauen sollten beschnitten werden und ihre Unterwerfung dadurch zeigen, dass sie immer einige Schritte hinter ihren Männern gingen. Polygame Haushalte durften keine Warteschlangen bilden. Statt zu schreien, wenn sie verprügelt wurden, sollten die Frauen Loblieder auf diejenigen singen, die sie schlugen, und darüber hinaus Feste veranstalten, auf denen das Schlagen der Ehefrauen zu Ehren der Männlichkeit gefeiert wurde. Vor allem sollten alle Aburĩrier immer daran denken, dass der Herrscher der Ehemann Nummer Eins sei und es deshalb als seine Pflicht ansehe, dem Land ein Beispiel dafür zu geben, was der einzelne Mann in seinem Hause zu tun hatte. Die

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