Herr der Krähen
sein Körper begonnen habe, sich noch weiter auszudehnen. Er habe daraufhin seinen persönlichen Berater kommen lassen, in der Hoffnung, die Wut in seinem Innern besänftigen zu können, wenn er mit jemandem darüber redete. Während des Wartens habe er weitere Zeitungen gelesen und gefühlt, wie die Wut in ihm wuchs, bis sie ihn fast erstickte, und genau da habe er gespürt, wie er in die Luft stieg, ohne etwas dagegen tun zu können. Er könne nicht genau sagen wann, aber sein Bauch habe ganz bestimmt erst zu schmerzen begonnen, als er sich bereits in der Luft befand. Zu Anfang sei der Schmerz auszuhalten gewesen, jetzt aber sei er unerträglich.
Unter Mithilfe einiger Zimmererleute, die eine Plattform zusammenbauten, gelang es Dr. Kaboca und Tajirika, den Herrscher ein wenig herunterzuziehen und mit Riemen daran zu befestigen, damit er medizinisch untersucht werden konnte.
Sie hatten es so gut hinbekommen, dass es aussah, als säße der Herrscher auf einem Thron und seine Worte erreichten jene, die zu seinen Füßen saßen, wie die Stimme Gottes vom Himmel. Die Männer wurden zu ständigen Staatszimmerern ernannt und durften das State House nur noch mit Genehmigung des Herrschers verlassen.
Dr. Kaboca kletterte auf das Podest, untersuchte die Mandeln, maß Temperatur und Blutdruck. Dem Herrscher schien nichts zu fehlen. Er tastete dessen Bauch ab, und weil er an die im Land umlaufenden Gerüchte denken musste, dass der Herrscher sich in anderen Umständen befände, hielt er es für das Beste, die Hinzuziehung eines Ärzteteams zu verordnen. Er erinnerte den Herrscher daran, dass man bei seiner Abreise aus Amerika beschlossen habe, Dr. Clarkwell und Professor Furyk nach Aburĩria einzuladen, um seinen Zustand genauer zu untersuchen. Nun sei es an der Zeit, schlug er vor, sich mit ihnen über die Verschlechterung der Symptome zu beraten: fortschreitende körperliche Expansion, Schwerelosigkeit des Leibes und Bauchschmerzen.
6
„Was? Seine Beine baumeln in der Luft?“, fragte Vinjinia Tajirika.
Die Vorstellung von einem Herrscher, der in der Luft hing, sodass vom Boden aus nur seine Schuhsohlen zu sehen waren, ließ sie lachen, bis ihr die Rippen wehtaten.
Das war spätabends am selben Tag. Tajirika erzählte Vinjinia nur gelegentlich, was sich im State House zutrug, aber diese Geschichte konnte er nicht für sich behalten. Trotzdem war er so vorsichtig, Vinjinia schwören zu lassen, nichts weiterzuerzählen.
„Glaubst du, dass das das Werk des Herrn der Krähen ist? Oder der Hinkenden Hexe?“, flüsterte Vinjinia.
„Dem Zauberer ist alles zuzutrauen.“
„Was wäre, wenn das Haus keine Decke und kein Dach hätte?“, überlegte sie laut.
„Dann hätte er den Himmel schon vor Marching to Heaven erreicht“, antwortete Tajirika, und Vinjinia erkannte den Witz darin und lachte erneut.
Als Vinjinia sich das nächste Mal mit Maritha und Mariko traf, nahm sie Maritha beiseite, ließ sie schwören, es niemandem weiterzusagen, und flüsterte ihr die Geschichte vom Herrscher ins Ohr. Aber natürlich erzählte Maritha sie Mariko, und dieser sah nichts Schlimmes darin, sie Taube zu erzählen, und auch Taube sah nichts Schlimmes …
Und so ging es weiter, bis die Geschichte die Volksversammlung erreichte, was nichts anderes hieß, als dass bald darauf ganz Aburĩria darüber redete.
7
„Seine SIE hat unsere wildesten Spekulationen weit übertroffen“, schrieb Dr. Kaboca an Clarkwell und Furyk und drängte sie, unverzüglich nach Aburĩria zu kommen. Die Kosten würden natürlich voll und ganz vom aburĩrischen Staat übernommen. Dr. Kaboca hatte vor allem die Nachricht im Sinn, die der Herr der Krähen einst geschrieben hatte, sowie die Gerüchte über die Schwangerschaft des Herrschers, die im Land die Runde machten. Ein Ultraschall wäre dringend angebracht, fügte er hinzu.
Furyk verzeichnet im Tagebuch seine Überraschung über den Inhalt des Briefes, vor allem die Hinweise auf Kontraktionen und Ultraschallaufnahmen. Er sah aber auch Chancen. Die Erforschung dieses Phänomens könnte die ewige theologische Debatte über die jungfräuliche Geburt wissenschaftlich erhellen. Er erkannte zudem sofort die kommerzielle Seite und gründete die Clem & Din Productions Company, die, abzüglich der Tantiemen für den Herrscher, die alleinigen weltweiten Produktions- und Distributionsrechte an allen Filmen und Videos für sämtliche Spielarten von SIE wahrnehmen sollte.
Din Furyk und Clement Clarkwell wurden
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