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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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abwesend. Tajirika schaute zur Decke hoch und ihm fiel die Kinnlade herunter. Er trat einen Schritt zurück, um besser sehen zu können. Er traute seinen Augen nicht. Die Beine des Herrschers hingen in der Luft, sein Kopf berührte die Decke und sein ganzer Körper schaukelte sanft hin und her.
    „Steh da nicht mit offenem Mund rum – hol mich runter“, befahl ihm der Herrscher.
    Tajirika spürte, wie seine Knie schwach wurden, und bemühte sich, nicht ohnmächtig zu werden.
    „Soll ich die Wachleute zu Hilfe rufen.“
    „Natürlich nicht, Blödmann. Hol mich runter.“
    Tajirika kam nicht an die herabhängenden Füße heran, auch nicht auf Zehenspitzen. Der Körper des Herrschers, der jetzt noch unbeweglicher war denn je, schien unbegreiflich leicht, sodass nur die Decke verhinderte, dass er davonsegelte. Tajirika stieg auf einen Stuhl und angelte nach den Füßen des Herrschers, aber so oft er das auch tat, der Herrscher stieg wieder auf wie ein Ballon.
    „Was sollen wir bloß tun?“, fragte Tajirika.
    „Genau deshalb habe ich dich kommen lassen“, erwiderte der Herrscher und schaute von der Decke herab.
    Tajirika glaubte, der Herrscher spräche über seinen schwebenden Körper.
    „Ja, das ist höchst verwirrend“, meinte Tajirika mitleidig.
    „Da muss jemand bei der Global Bank kräftig gegen mich arbeiten“, sagte der Herrscher.
    Nein, er redet über die Nachricht, und ich wollte schon vorschlagen, ihn am Boden anzuketten, dachte Tajirika. Er setzte sich auf den Stuhl und legte den Kopf in den Nacken, damit er besser sehen und hören konnte.
    Die Entscheidung der Global Bank hatte den Herrscher schwer getroffen, vor allem, weil die Bank es nicht für nötig gehalten hatte, die Höflichkeit aufzubringen, zunächst ihn über die diplomatischen Kanäle oder einen Sondergesandten zu informieren, sondern die Nachricht über die Medien in New York verbreitet hatte.
    „Sieh dich um. Sieh dir die Zeitungen an. Sieh dir die Schlagzeilen an. Gibt es auf der ganzen, weiten Welt noch eine einzige Seele, die das nicht gelesen hat? Was ist bloß aus den diplomatischen Gepflogenheiten geworden? Stell dir vor, wie sich meine Feinde freuen müssen, weil sie jetzt glauben, dass ihre Agitation unsere Pläne für Marching to Heaven vereitelt hat!“
    „Rassisten!“, sagte Tajirika und legte so viel Hass in die Stimme, wie er konnte.
    „Genau das habe ich mir auch gesagt“, meinte der Herrscher. „Aber wir werden der Bank zeigen, dass wir nicht von gestern sind. Was meinst du, Titus?“
    „Sie haben völlig recht, Eure Allmächtige Vortrefflichkeit. Wir werden zurückschlagen“, antwortete Tajirika, der registrierte, dass der Herrscher ihn Titus genannt hatte, als wären sie enge Freunde.
    „Deshalb habe ich dich zum Gouverneur des Geldes gemacht. Ja, zurückschlagen. Gute Aussage. Du weißt, das Gemstone hinter allem steckt. Er ist der Ursprung dieses unverhüllten Hasses gegen mich.“
    „Rassist“, sagte Tajirika erneut.
    „Da hast du ganz recht, wie immer“, erwiderte der Herrscher, bevor er anfing, über Bauchschmerzen zu klagen. Er verlangte nach seinem Leibarzt.
    Tajirika ging ans Telefon. Er war erleichtert, dass ihm bald jemand beistehen würde, mit der Überraschung fertig zu werden, der er sich gegenübersah.

5
    Als Erwiderung auf Dr. Kabocas „Wie geht’s?“ zeigte ein sitzender Tajirika einfach an die Decke. Der Arzt begriff nicht, was diese Geste bedeutete, und dachte einen Moment lang, Tajirika sei vielleicht seelisch ein wenig unausgeglichen und dass er seinetwegen ins State House gerufen worden sei. „Wo ist der Herrscher?“, fragte Dr. Kaboca. „Siehst du nicht, dass der Herrscher die Schwerkraft überwunden hat?“, antwortete Tajirika gereizt.
    Dr. Kaboca blickte nach oben, und im nächsten Augenblick sah sich Tajirika über den niedergestreckten Körper des Arztes gebeugt. Er fächelte ihm mit einem Taschentuch Luft zu und versuchte, ihn wieder auf die Beine zu bringen.
    „Sieht aus, als brauchte der Arzt selber einen Arzt“, erscholl eine Stimme von der Decke.
    „Das ist die Hitze“, sagte Dr. Kaboca, als er das Bewusstsein wiedererlangt hatte. „Und jetzt, Mr. Tajirika, verlassen Sie bitte den Raum.“
    „Nein“, sprach der Herrscher. „Tajirika ist mein persönlicher Berater. In allen Dingen. Behandle mich in seiner Gegenwart.“
    Der Herrscher redete ziemlich offen mit dem Arzt. Er sei, als er die Nachricht von der Global Bank gelesen habe, so wütend geworden, dass

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