Herr der Krähen
und Santalucia verstreut im Einsatz hatte, nicht geschafft hätte.
„Sobald ich die Neuigkeit erfahren hatte, sagte ich mir, Kaniũrũ, das darfst du nicht für dich behalten, keine Sekunde lang, und deshalb bin ich hier“, sagte er noch immer kniend.
„Gut gemacht“, lobte der Herrscher, die rechte Hand zu segnender Geste erhoben. „Gehe hin und bleibe rechtschaffen, denn ich weiß jetzt, dass ich mich jederzeit auf dich verlassen kann. Alles, was mit dem Herrn der Krähen zu tun hat, überlass von jetzt an mir. Ich werde dir deine Ergebenheit nie vergessen.“
Ohne nach links oder rechts zu sehen, eilte Kaniũrũ zu seinem Wagen. Trotz der Gewichte in seiner Jacke, fühlte er sich leicht wie eine Feder. Er konnte nicht einmal mehr sagen, wann und wie er in sein Auto oder zu seiner Wohnung gekommen war.
An diesem Abend ließ er zu Hause alle Lichter eingeschaltet. Er fand kaum Schlaf. Das Bild des Herrschers, dessen Stimme klang, als käme sie vom Himmel, ging ihm nicht aus dem Kopf. Was dieses Bild befleckte, waren die Decke, die irdisch aussah, die Wände, die noch irdischer aussahen, und natürlich der aufgeblähte Herrscher, dessen Körper trotz der Riemen wie ein Ballon in einer sanften Brise von einer Seite zur anderen schwankte. Dass die Riemen und das Gerüst sichtbar waren, zerstörte die Illusion einer Gottheit im Himmel.
Und mit einem Mal hatte Kaniũrũ das Gefühl, als würden ihm Flügel wachsen und er sogleich abheben und durch die Luft schweben wie der Herrscher. Er, der ehemalige Kunststudent, hatte zum ersten Mal den Sinn der Kunst im Leben der Menschen erkannt oder zumindest in seinem Leben, und das auf weit nutzbringendere Weise als seine Fälschungen von Sikiokuus Unterschrift und die Zeichnung vom Herrn der Krähen für ein Fahndungsplakat.
Er würde seinen auserwählten Gott in einem konkreten Himmel platzieren und in diesem Augenblick verstand er auch die volle Bedeutung der Worte seines Namensvetters Johannes des Täufers: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Amen.
Der Herrscher hingegen hatte, kaum dass Kaniũrũ gegangen war, Wonderful Tumbo angerufen, den leitenden Officer der Polizeiwache von Santamaria, und ihm Befehle erteilt: Die Zeit des Herrn der Krähen ist abgelaufen! Ich will ihn hier sehen. Sofort! Lebendig!
9
Kamĩtĩ eilte, nachdem er vom mkokoteni gesprungen war, zu Maritha und Mariko, wie Nyawĩra es ihm gesagt hatte. Die Sonne ging unter, und sein langer Schatten fiel auf Mariko, der im Garten war. Ungerührt rief Mariko zu Maritha hinüber, dass es so aussehe, als hätte ein rauer Wind einen Fremden in ihren Garten geweht. Und Maritha rief zurück: „Was ist los? Warum bittest du ihn nicht herein?“ Mariko sprach kein Wort mit Kamĩtĩ, sondern ging einfach ins Haus. Kamĩtĩ folgte ihm. Maritha wies auf einen Stuhl, doch sprachen weder sie noch Mariko den Fremden direkt an. Man unterhält sich nicht mit einem hungrigen Magen, meinten Maritha und Mariko, und ein paar Minuten später standen Tee und Brot vor dem Besucher.
Kamĩtĩ wusste nicht, was er ihnen sagen sollte, weil er keine Ahnung hatte, was Nyawĩra ihnen über ihn und seine gegenwärtige Lage erzählt hatte. Seine Gastgeber beachteten ihn nicht weiter. Sie unterhielten sich, als wäre er gar nicht vorhanden, und sprachen sogar über Dinge, die ihn betrafen.
Eine Katze mit weißem Stirnmal erschien in der Tür, schaute sich um, ging geradewegs zu dem Besucher und strich ihm schnurrend um die Beine. Kamĩtĩ empfand eine seltsame Erregung in der Bauchgegend. Das war die Katze, die er bei den verkohlten Überresten seines Schreins gesehen hatte. Er wollte schon sagen, dass er die Katze kannte, überlegte es sich aber anders und verbarg seine Irritation, indem er sie streichelte.
„Unser stromernder Held ist wieder da“, sagte Mariko.
„Und er schließt nicht so leicht Freundschaft“, sagte Maritha.
„Trotzdem geht er zu unserem Gast …“, fügte Mariko hinzu.
„Als wären sie alte Freunde“, ergänzte Maritha.
Sie unterhielten sich weiter, sprangen von einem Thema zum nächsten. Kamĩtĩ streichelte die Katze und versuchte, ihrer Unterhaltung etwas zu entnehmen.
Sie redeten über ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten in der All Saints Cathedral.
„Wenn wir in der Lage sind, die Tauben zu füttern, dann können wir auch obdachlose Bettler wie diesen hier versorgen“, sagte Maritha zu Mariko.
„Stimmt, der Keller ist gemütlich, und die Obdachlosen wissen, dass sie sich
Weitere Kostenlose Bücher