Herr der Krähen
Parlamentsmitglied und Finanzminister agierte. Die zweite war John Kaniũrũ, ehemaliger Anführer der Jugendbrigaden und jetzt Minister für Verteidigung, Jugend und Kultur. Der Herrscher wurde so zitiert, dass er ein Papier pries, das Kaniũrũ geschrieben hatte, als Resultat einer erfolgreichen Serie von Jugendseminaren, in denen er darauf gedrungen hatte, die Jugend zur Bekämpfung der Feinde im Innern und als Ergänzung der Arbeit der Sicherheitskräfte einzusetzen und die Kultur zu verwenden, um den Verstand der Jugend von allen Rebellionsgedanken zu reinigen. Als der Herrscher den Aufsatz zum ersten Mal gelesen habe, sei er von Kaniũrũs Originalität beeindruckt gewesen, und es sei der Slogan „Originalität des Denkens“, den der Herrscher jetzt benutzt habe, um Kaniũrũs Berufung in das neue Amt zu verkünden, das zugleich ein Mandat zur Integration von Jugend, Kultur und Militär beinhalte.
Auch der verstorbene Dr. Wilfred Kaboca, der bei der Verteidigung der Gesundheit der Nation erschossen worden war, wurde anlässlich der Niederkunft geehrt und posthum in den Golden Order of Loyal Devotion (GOLD) aufgenommen.
Die Zeitung wies noch eine kleinere Überschrift auf: BIG BEN WIRD CAESAR: MINISTER VEREINT DEN RUHM DES IMPERIALEN LONDON UND DES ALTEN ROM. Der während der sogenannten Volksversammlung bewiesene Mut habe ihm die Ehrenmitgliedschaft in den Streitkräften eingetragen, deren Beginn auf Monate vor der Versammlung zurückdatiert wurde. „Mein Traum ist Wirklichkeit geworden“, soll Minister Big Ben Mambo spontan gerufen haben. Und um stets an diesen Tag zu denken, habe er sich einen neuen Namen gegeben und wurde zu Julius Caesar Big Ben Mambo, Informationsminister und Ehrenoffizier der Streitkräfte der Freien Republik Aburĩria.
Ein Kasten mit der Überschrift KÜNSTLER MEISTERT KRIEGSKUNST zeigte ein Bild Kaniũrũs. Dank ihm sei Aburĩria endlich die Bedrohung durch Nyawĩra, alias die Hinkende Hexe, und ihren Kumpanen, den Herrn der Krähen, los. Obwohl man sie noch nicht identifiziert habe, nehme man an, dass ihre Leichen irgendwo verwesten. Kaniũrũ sei ins linke Bein geschossen worden, als er mit den Kräften des Bösen gerungen habe, und seine Unerschrockenheit habe dem Land einigen Aufruhr erspart. Er wurde zum hochdekorierten Kriegshelden. Auf die Frage, wo er denn Strategie und Taktik erlernt habe, habe Kaniũrũ den Reportern geantwortet, dass er zwar instinktiv gehandelt, aber sorgfältig Carl von Clausewitz’ „Vom Kriege“ und Sun-Tzus „Die Kunst des Krieges“ studiert habe.
A.G. fühlte alle Kraft schwinden: War der Herr der Krähen tot?
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Der Herrscher war sowohl überrascht als auch befriedigt darüber, wie glatt alles gegangen war, und fragte sich, warum er jemals eine solche Angst vor dem Wort „Mehrparteiendemokratie“ gehabt hatte. Das muss der schlechte Einfluss Machokalis und Sikiokuus gewesen sein, meinte er, denn erst als er die beiden losgeworden war, hatten sich seine Beziehungen zur Welt, zu Aburĩria und zu sich selbst verbessert. Doch die „Politische Theorie“ des Herrschers, die eigentlich der tote Machokali geschrieben hatte, die aber jetzt seinen Namen trug und mit einem Vorwort versehen war, in dem er erklärte, diese Theorie in der Zeit entwickelt zu haben, in der er die Öffentlichkeit mied, hatte ihm diese Vision verschafft. Dieser Theorie nach war in jedem beliebigen Land nicht die Zahl der politischen Parteien wichtig, sondern nur der Charakter desjenigen, der Kopf, Herz, Arme und Beine des Staates personifizierte. Um sicherzustellen, dass das Land stabil und seine Macht gefestigt war, gab es für einen Herrscher keine moralischen Grenzen bei der Auswahl der Mittel zwischen Lügen und Leben, Bestechung und Prügeln. Wenn es ihm aber gelang, den Staat stabil zu halten, indem er die Wahrheit opferte statt Leben, das Recht beugte, statt es zu brechen, den Vorlauten mit endlosen Tricks den Mund stopfte, statt sie mit Stacheldraht und heißem Wachs zu foltern, wenn es ihm gelang, den Frieden durch eine groß angelegte Betrügerei zu erkaufen, statt Panzer in den Straßen auffahren zu lassen – was seinen Feinden oftmals Propagandamaterial an die Hand gab –, dann errang er den süßesten aller Siege. Die Theorie verlangte von einem Herrscher auch, das Unerwartete zu tun, ob dies nun gut oder schlecht war, um Freund und Feind zu überraschen. Der dritte Lehrsatz war der, den er das Prinzip des Gebens, ohne zu geben, nannte. Nimm dir zehn,
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