Herr der Krähen
weigere dich standhaft, diese zehn zurückzugeben, gib dann unter Druck nach und eins zurück, und das Ergebnis wird Applaus von allen Seiten sein, der Sieg über den Feind und Glückwünsche des Freundes. Bis hierher hatte er alle Lehrsätze der Theorie streng befolgt. Mit erstaunlichen Ergebnissen.
Am angenehmsten war die freundliche Aufnahme seiner Ausführungen im Westen, auch in jenen Staaten, die ihm vorher Staatsbesuche verweigert hatten. Man gratulierte ihm zu seinen mutigen Schritten, wobei einige Kommentatoren so weit gingen, ihn einen demokratischen Visionär zu nennen, dessen Balance zwischen Pragmatismus und Ideologie seine Feinde aus der Bahn geworfen habe.
Lediglich Botschafter Gabriel Gemstone schien sich in dem Bericht an seine Regierung ein wenig frostig geäußert zu haben. Der aburĩrische Herrscher habe einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, sagte er, aber mehr auch nicht: einen Schritt. Obwohl es ein Schritt nach vorn sei, berge dieser, wenn man ihn mit afrikanischen Augen betrachte, ernsthafte Risiken, und er könne dem Westen nicht mit gutem Gewissen raten, die Reformen zu begrüßen, solange der Herrscher nicht geklärt habe, was es damit auf sich habe, dass er der Vorsitzende aller politischen Parteien sei.
Der Herrscher unterschätzte Gemstone nun nicht mehr und reagierte sofort, ohne sich natürlich direkt auf den Botschafter zu beziehen. In einer offiziellen Klarstellung seiner Bemerkungen bei der Vorstellung von Baby D sagte er, dass er sich in den Alltag der Parteien nicht einmischen werde; das werde er den gewählten Generalsekretären überlassen. Er werde nur den Vorsitz der Partei ausüben, die die allgemeinen Wahlen gewinne. Der De-facto-Vorsitzende der siegreichen Partei werde automatisch Vizepräsident, womit auch das Nachfolgeproblem im Falle des Unerwarteten geklärt sei. Mit diesen Klarstellungen erhielten die Reformen des Herrschers nun Gabriel Gemstones vorsichtige Zustimmung, was viele Türen öffnete.
Das Global Ministry of Finance und die Global Bank gaben gemeinsam eine Erklärung heraus, in der sie dem Herrscher gratulierten, dass er von nutzlosen Vorhaben wie Marching to Heaven abließ – in Wahrheit benutzten sie die Wendung „über Bord werfen“ –, er alle Bedingungen, an die sie ihre Kredite knüpfen würden, im Voraus akzeptiere und dass er Technokraten, Kriegshelden und ausgewiesene Geschäftsleute ins Kabinett aufgenommen habe. Am Maßgeblichsten aber war die Bereitschaft, mit der neuen Regierung Verhandlungen über die Freigabe eingefrorener Kredite und Hilfsleistungen aufzunehmen. Kaniũrũ und Tajirika wurden nach Washington eingeladen, um dort über die Erfordernisse von Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik eines demokratischen Aburĩria zu berichten.
Alles lief so glatt, wie es sich der Herrscher nur wünschen konnte. Und obwohl er dies in erster Linie seinen Entscheidungen und Theorien verdankte, wusste er auch Kaniũrũs Beitrag zu schätzen.
7
Mehrere Tage nach dem Geburtstag des Herrschers war Kaniũrũ mit einem merkwürdigen Anliegen bei ihm erschienen. Er wollte Vergebung. Wofür? Kaniũrũ beichtete, die Hinkende Hexe und den durchtriebenen Zauberer getötet zu haben, und fügte hinzu, dass die Hinkende Hexe niemand anderes gewesen sei als Nyawĩra. Der Herrscher war von seiner Ergebenheit so gerührt, dass er ihn umarmte. Danach konnte Kaniũrũ mehrere Wochen lang nichts falsch machen, und als der Herrscher beschloss, die Geburt der Mehrparteiendemokratie zu verkünden, war Kaniũrũ sein engster Vertrauter. Es war Kaniũrũs brillante Idee gewesen, Baby D auf einem Gemälde darzustellen und dessen Enthüllung dramaturgisch zu inszenieren.
Als der Herrscher länger über die Bedeutung von Kaniũrũs heldenmütiger Tat nachdachte, freute er sich umso mehr. Nyawĩra war tot wertvoller als lebendig, und das nicht nur wegen der Beseitigung einer Bedrohung. Er wollte ihr Schicksal als das aller anmaßender Frauen hinausposaunen, die glaubten, sich dreist männliche Vorrechte aneignen zu können.
Die Beseitigung des Herrn der Krähen hingegen rief widersprüchlichere Gefühle in ihm hervor. Der Zauberer hatte sich ja als nützlich erwiesen. Die Behauptung von der Schwangerschaft des Herrschers, die er in die Welt gesetzt hatte, hatte dem Herrscher erlaubt, seinen Kritikern zu begegnen. Trotzdem blieben schwere Bedenken!
8
Sogar jetzt noch, in seiner Residenz, beim Essen, im Bett, schauderte den Herrscher, wenn er sich den Tag
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