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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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in Aburĩria.

9
    Doch nun hatte er nichts mehr zu besiegen, klagte er. Keine Widersacher mehr, die er überwinden musste. Nachdem er seine Lieblingsminister Tajirika und Kaniũrũ zu Gesprächen mit dem Global Ministry of Finance, der Global Bank und der amerikanischen Regierung nach Amerika geschickt hatte, zog sich der Herrscher in seine Privatgemächer im State House zurück, ließ seinen Tränen freien Lauf und haderte mit dem Schicksal. Sogar die offizielle Nationalhostess konnte ihm keinen Trost schenken. Er schäumte, weil er sich nach Angriffen gleichwertiger Widersacher sehnte.
    In seiner Betrübnis fielen ihm die Tränen ein, die zu sehen er vergeblich gehofft hatte. Rachael, seine Frau, hatte allen Versuchen, sie zu brechen, widerstanden und noch immer nicht um Gnade gebettelt. Sein Kummer über fehlende Herausforderungen wandelte sich bei dem Gedanken an eine Frau, die sich ihm widersetzte und damit erfolgreich war, in Wut. Er rief den Wachmann an, der ständig am Eingang zu Rachaels Drei-Hektar-Plantage stand und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er erfuhr, was schon seit Monaten als Gerücht umging, dass man Rachael bei Nacht, wenn die Leute eigentlich in ihren Betten schnarchen sollten, über den Hof oder durch das Haus gehen sah, wobei sie wie ein Geist eine Laterne trug. „Los, wir fahren zur Plantage“, rief er eines Abends seinem treuen Biographen zu. Er wollte, dass dieser Moment festgehalten wurde, weil er zu einem Kernstück seiner offiziellen Biographie werden sollte.
    Was wirklich geschah, als der Herrscher in jener Nacht Rachael in Begleitung von Luminous Karamu-Mbu besuchte, ist umstritten. Der Wachmann, der den Schlüssel zum Eingangstor des umzäunten Geländes hatte, war nirgends zu sehen. Manche behaupten, der Herrscher habe sich durch einen Spalt zwischen der Mauer und dem Tor gezwängt, und weil er neuerdings so schlank war, habe ihm das keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Demzufolge robbte er vorsichtig die restliche Strecke, um Rachael zu überraschen, noch bevor sie sich die Tränen abwischen konnte. Als er schließlich das Haus erreichte, lugte er durch ein Fenster. Rachael, die noch immer das Kleid trug, das sie an jenem Abend getragen hatte, als sie sich wegen seiner Vorliebe für kleine Mädchen stritten, dachte, sie hätte ein langhalsiges Etwas mit einem winzigen Kopf und einer gespaltener Zunge gesehen, und warf ihre Laterne nach diesem Etwas. Das Paraffin floss aus, das Haus fing Feuer und der Herrscher und Luminous Karamu-Mbu rannten den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Andere Berichte besagen: Nein, ganz so war es nicht, der Wächter war zwar verschwunden, aber als der Herrscher das Haus erreichte, sei Rachael an die Tür gekommen und habe gesagt, ich weiß, dass du es bist, und statt zu weinen, habe sie ihm ins Gesicht gelacht. Weil sie aber schon lange nicht mehr gelacht hatte, brachen ihr beim Lachen die Rippen und sie fiel in sich zusammen zu einem Haufen trockener Knochen. Die Laterne landete auf dem Knochenhaufen, der Feuer fing. Die Flammen griffen schnell auf das Haus über und erfassten die gesamte Plantage. Dem Brand entsprang ein Feuerball, der den Herrscher und seinen treuen Biographen den langen Weg zurück bis vor die Tore des State House verfolgte.
    Die Erinnerung an diesen Feuerball, der ihn gnadenlos jagte, verursachte Schlaflosigkeit, und um Ruhe zu finden, forderte der Herrscher seinen treuen Biographen Luminous Karamu-Mbu auf, ein Kapitel aus dem Buch vorzulesen, das er schrieb. Die Biographie sei noch nicht abgeschlossen, sei ein Werk im Entstehen, erwiderte der Schreiber, aber der Herrscher befahl ihm, aus den umfangreichen Aufzeichnungen, die er gemacht hatte, zu lesen. Jede Nacht wurde nun ein Kapitel vorgetragen, was dazu führte, dass der Herrscher die Herausforderungen, Schlachten und Siege vergangener Tage noch einmal durchlebte; ein seltsames Gefühl, fast so, als lebte er sein Leben ein zweites oder drittes Mal. Es gab Abschnitte, die der Herrscher immer wieder vorgelesen haben wollte, wobei er ihm öfter sagte, was er weglassen oder einfügen sollte. Eines Nachts befahl er Luminous Karamu-Mbu, den Abschnitt vorzulesen, der sich mit seinem jüngsten Triumph beschäftigte. Ergeben las der Biograph vor, wie Donnerschläge aus jeder der sieben Leibesöffnungen des Herrschers geschossen waren wie getarnte Raketen, die nacheinander explodierten; er hatte in allen Einzelheiten beschrieben, wie der zweite Donnerschlag die ausländischen

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