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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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hätten sie nichts miteinander zu tun. Man erzählt sich, der Richter habe, als das Wort „Soldaten“ zum ersten Mal über Mambos Lippen kam, geglaubt, Julius Caesar würde seinen Truppen einen Befehl erteilen, und der Richter stand tatsächlich auf, um zu fliehen. Doch als er seinen Irrtum bemerkte, blieb er stehen, damit es so aussah, als hätte die ungewöhnliche Maßnahme, zur Urteilsverkündung aufzustehen, mit der Schwere des Tatbestands zu tun und noch schwerwiegender mit dem, was der Angeklagte zu tun versuchte, indem er dem Gericht mit seinen „Wenns“ drohte.
    Julius Caesar Big Ben Mambo, ein Offizier der Streitkräfte, sei schuldig zu befinden, sich mit Zivilisten zum Sturz der rechtmäßigen Regierung verschworen zu haben. Unglücklicherweise seien seine Verschwörerfreunde Machokali, der Herr der Krähen und die Hinkende Hexe tot und befänden sich außerhalb der richterlichen Verfügungsgewalt, weil sie keine Soldaten seien.
    Am selben Tag zu späterer Stunde wurde ein ziviles Sondergericht berufen, das sich der Aufgabe widmete, die der vorsitzende Richter des Militärgerichts gestellt hatte, wobei die Unterlagen des Prozesses gegen Big Ben Mambo das einzige Beweismaterial für die Anklage gegen Machokali, die Hinkende Hexe und den Herrn der Krähen darstellten. Noch nie in der Geschichte der aburĩrischen Rechtssprechung hatte es einen Fall gegeben, dass Menschen angeklagt und zum Tode verurteilt wurden, die bereits tot waren.
    Es wird erzählt, dass Julius Caesar Big Ben Mambo, als er mit verbundenen Augen die Salve des Erschießungskommandos erwartete, im letzten Augenblick die Sprache wiederfand und rief: „Krähen … schützend … wenn …“, aber die erste Kugel erlaubte ihm nicht, den Satz zu vollenden.

13
    Auf Tajirikas Rat hin bestimmte der Herrscher einen Tag, an dem die Verfluchten Vier, Machokali, Mambo, Nyawĩra und der Herr der Krähen, symbolisch verbrannt werden sollten, damit ihre Geister niemals wiederkehrten und die Herrschenden heimsuchten. Mit Fernsehteams im Gefolge überboten sich Minister, Parlamentsabgeordnete und Heerscharen loyaler Jugendlicher dabei, das größtmögliche Abbild ihres jeweiligen Lieblingsverräters zu verbrennen, und manche warfen die flammende Figur gar ins Meer. Später waren auf den Fernsehschirmen Szenen von Jubel und Triumph zu sehen. Doch Gerüchte und die Erzählungen von Augenzeugen berichteten von seltsamen Vorkommnissen.
    „Ehrlich! Haki ya Mungu !“, sprach A.G. Jahre später vor seinen Zuhörern. „Die Abbilder von Nyawĩra und dem Herrn der Krähen wollten nicht brennen – stattdessen spien sie Feuerbälle, die jene jagten, die sie verbrennen wollten.“

D   R   I   T   T   E   R   T   E   I   L
1
    Die Nachricht der posthumen Verurteilung und der staatlich verordneten Feier ihres Todes erreichte sie in ihrem Versteck im Wald, in dem sich Kamĩtĩ von der Schusswunde und dem Koma erholte.
    „Wir sind zwei Mal gestorben“, sagte Kamĩtĩ.
    „Wenigstens haben sie uns mit einem Staatsbegräbnis geehrt“, meinte Nyawĩra und lachte verhalten.
    „Staatsbegräbnis auf einem Scheiterhaufen“, entgegnete Kamĩtĩ. „Ihre Nachahmung der Höllenfeuer.“
    Sein Tonfall ließ erkennen, dass er sich erholte, und Nyawĩra war dankbar dafür. Die letzten Wochen waren grauenhaft gewesen, weil Kamĩtĩs Leben am seidenen Faden gehangen hatte. Sie dachte daran, wie sie ihn schnell in ein sicheres Haus gebracht hatten, wo ein mit der Bewegung befreundeter Arzt die Blutung gestoppt hatte, bevor sie ihn in die Berge brachten. Die Kugel hatte das Herz nur um einige Zentimeter verfehlt, aber ihre erfolgreiche Entfernung und eine Mischung aus moderner Arznei und Heilkräutern brachten ihn wieder ins Leben zurück. Sie pflegte ihn die ganze Zeit, stützte ihn oft beim Gehen, in den letzten Tagen aber nicht mehr. Er war wieder auf den Beinen und sie gingen häufig im Wald spazieren.
    Immer wieder erzählte sie ihm von dem Tag, an dem sie dem Tod entgangen waren, weil das Trauma, die Bewusstlosigkeit und das Koma viele Lücken in sein Gedächtnis gerissen hatten. Als Kamĩtĩ fiel, hatte sie sich gefühlt, als wäre ihre Seele mit ihm zusammengebrochen, und als sie seinen Körper mit ihrem bedeckte, war es, als ob auch sie vom Leben Abschied nahm. Ich werde ihn anstarren, wenn ich sterbe, hatte sie beschlossen, als Kaniũrũ seine Waffe auf sie richtete. Ich werde ihm nicht die Genugtuung verschaffen, Angst zu zeigen. Kaum hatte sie das

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