Herr der Krähen
sie strichen darüber. Schließlich fanden sie einander am Ufer im grünen Gras im Schatten eines Busches.
Wegen Kamĩtĩs Narbe mussten sie behutsam sein. Sie waren sanft, tasteten, suchten, aber schließlich spürten sie ihre Körper aufsteigen, vergaßen die Narbe und ließen sich in einem Fluss über eine wunderschöne Hochebene treiben. Der Fluss strömte langsam dahin, fast lautlos, bis auf das leichte Schlagen und Schäumen des Wassers an das Ufer. Und danach fühlte sich Kamĩtĩ, als wäre der Unrat, der an seinem Körper und seiner Seele klebte, seit sie sich zuletzt getrennt hatten, abgewaschen worden. Er roch den Duft frischer Blumen. Er schaute sie dankbar an, doch war sie es, die das Wort aussprach.
„Danke“, sagte sie sanft.
3
Später, als sie am Ufer auf dem Rücken lagen, drehte Kamĩtĩ sich zu Nyawĩra und kam ohne Umschweife auf seine Rückkehr aus Amerika zu sprechen.
„Warum willst du dich so kurz nach unserer Landung aus den Wolken mit schmerzhaften Erinnerungen quälen?“
„Die Liebe erinnerte mich an den Verlust. Als ich dich gesucht habe, fühlte ich mich wegen der vielen Dinge, die ich dich hatte fragen wollen, aber nicht gefragt habe, oft den Tränen nahe. Dieses Bedauern wurde immer größer, je mehr es so aussah, als würde ich dich niemals wiedersehen. Es geschieht nicht oft im Leben, dass man sagen kann, man habe eine zweite Chance bekommen. Und jetzt möchte ich sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.“
„Frag und schau, ob dir gegeben wird“, meinte Nyawĩra.
„Findest du nicht auch, es wäre Zeit, ein neues Heim zu bauen?“
„Den Schrein wieder aufbauen?“
„Ich spreche nicht über ein Gebäude. Ich rede davon, den Knoten festzuziehen.“
Nyawĩra dachte über diesen Vorschlag nach, aber nicht lange, denn auch sie ging nicht zum ersten Mal dieser Frage nach.
„Weißt du eigentlich, dass ich in der ganzen Zeit, in der Kaniũrũ und ich befreundet waren und zusammengelebt haben, nicht ein einziges Mal davon geträumt habe, mit ihm Kinder zu haben? Seit ich dich kenne, träume ich jeden Tag davon und stelle mir oft vor, wie unsere Kinder aussehen und ob sie mehr von dir oder von mir haben würden. Diese Träume sind ständig da, sogar jetzt, wenn wir hier sitzen. Irgendwie sind wir bereits verheiratet. Gibt es einen festeren Knoten als die freie Vereinigung der Seelen? Der Rest ist eine Zeremonie, mit der diese Vereinigung gesegnet wird, und die können wir haben, wann immer die Zeit und die Umstände es erlauben. Im Augenblick gibt es viel zu tun, um Fäulnis und Unrat zu beseitigen, die über das Land gekommen sind, und die Luft zu reinigen.“
In ihrem Ton lag eine solche Bestimmtheit, dass Kamĩtĩ nicht weiter in sie drang. Sie merkte, dass sie ein wenig zu harsch gewesen war, und ließ ihre Stimme jetzt sanfter klingen.
„Nichts ist umsonst. Hier ist eine Aufgabe für dich. Jedes Mal, wenn es dir nicht gelungen ist, mich unter meiner Verkleidung zu erkennen, hast du behauptet, dass es dir nicht noch einmal passieren würde.“
„Ich muss zugeben, dass ich dich als Hinkende Hexe niemals erkannt hätte“, sagte er bewundernd. „Aber nächstes Mal wird es anders sein. Ich sehe wirklich nicht, wie du diese Vorstellung noch übertreffen willst.“
„Wollen wir wetten?“
„Das hängt vom Einsatz ab.“
„Wenn es dir gelingt, mich zu durchschauen, kaufe ich die Eheringe, wenn du verlierst, kaufst du sie.“
„Einverstanden. Auch wenn das die Frage nach dem Zeitpunkt nicht beantwortet. Erzähl mir bitte mehr über die Bewegung für die Stimme des Volkes.“
Überrascht drehte sich Nyawĩra zu ihm hin und schaute ihn an.
„Weißt du“, sagte sie nach einer Pause, „du musst nicht politisch Stellung beziehen, nur um mich glücklich zu machen. Auch wenn wir so weiterleben wie jetzt, werden wir, so Gott will, das Heim unserer Träume haben.“
„Ich weiß, aber lass mich ausreden. Während unseres Aufenthalts hier habe ich über vieles nachgedacht, worüber wir seit unserer ersten Begegnung gesprochen haben. Jetzt stimme ich dir zu, dass die Aufgabe, das Land zu heilen, weder von einer Person noch von vielen bewältigt werden kann, wenn jeder nur für sich allein handelt.“
„Was möchtest du wissen? Wo wir stehen? Unsere Sicht unterscheidet sich nicht sonderlich von der, die du bei der Volksversammlung umrissen hast. In Aburĩria gibt es die, die ernten, was sie nie gesät haben, und die, die säen und kaum je ernten, was sie säten. Das
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