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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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nennen.
    Ihr Vater hatte seinerseits Spaß daran gehabt, seine beiden afrikanischen Namen, Mũgwanja und Wangahũ, mit Initialen abzukürzen und daraus Matthew M . W . Charles zu machen, sie manchmal auch ganz wegzulassen und sich Matthew Charles oder einfach Mr. Charles zu nennen. Wer ihn Carũthi nannte, die afrikanische Version von Charles, war bei ihm unten durch, selbst wenn er ein Mr. davor setzte. Natürlich hätte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn man ihn Sir Charles genannt hätte, aber die Dorfbevölkerung bestand in ihrer Unkenntnis darauf, ihn Bwana Carũthi zu nennen.
    Wangahũs Wohlstand gründete sich auf Edelhölzer, Kaffee und Tee. Er hatte drei Kinder, zwei Jungen und Nyawĩra. Die Jungen taten sich in den aburĩrischen Schulen nicht besonders hervor, und Wangahũ schickte sie nach Amerika, wo sie sich an Colleges einschrieben, um Buchhaltung und Informatik zu studieren. Zumindest behaupteten sie das. Sie zogen von College zu College, ohne je einen Abschluss zu machen, doch jedes Jahr schickte ihnen Wangahũ aufs Neue Geld für Studiengebühren, Unterkunft und Essen. Obwohl er sich als Vater wegen ihrer mangelnden Fortschritte Sorgen machte, hatte er als Mann mit Vermögen etwas aufzuweisen, das sein beträchtliches Ansehen unter seinesgleichen noch steigerte: Zwei Söhne in Amerika mit vollen Studiengebühren, Unterkunft und Essen durchzubringen, war keine einfache Aufgabe, und er bewies damit, dass er tatsächlich ein Mann mit einigen finanziellen Möglichkeiten war. Nyawĩra schickte er nicht nach Amerika, weil er nicht wollte, dass seine Tochter einen Weißen heiratete; umgekehrt hätte er bei den Jungen nichts dagegen gehabt. Trotzdem wünschte er sich für sie einen Lebensstil, der ihrer sozialen Stellung entsprach. Die Reichen kauften ihren Söhnen und Töchtern Autos, die scherzhaft als Spielzeug bezeichnet wurden, weil es sich nicht um deutsche Fabrikate handelte – die natürlich erwachsenen Männern und Frauen vorbehalten waren –, sondern um japanische. Nyawĩra bekam einen nagelneuen Toyota Corolla und gewöhnte sich schon früh an den Lebensstil ihrer Schicht. Rauschende Feste, immer die neueste Mode, schnelle Autofahrten waren die wichtigsten Freuden ihres Lebens. Die Mühe, hinter die Fassade der Dinge zu sehen, machte sie sich nicht. In jener Zeit tauchten die Namen von Yunity Mgeuzi-Bila-Shaka oder Luminous Karamu-Mbu-ya-Ituĩka häufig in den Nachrichten auf, weil der Herrscher sie anprangerte, die Revolution zu predigen. Sie hasste die bloße Erwähnung der Namen dieser Rebellen. Warum standen sie der Regierung so kritisch gegenüber? Und warum waren sie im Exil?
    Dann kam es zu diesem Unfall. Sie fuhr auf dem Highway, vollkommen im Geschwindigkeitsrausch, und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag, als das Auto ins Schleudern kam und im Straßengraben landete. Obwohl sie nicht schwer verletzt wurde, wusste sie, dass sie nur knapp davongekommen war. Was sie überraschte und auch später noch in Erstaunen versetzte, wenn sie sich an den beinahe tödlichen Ausgang ihres Unfalls erinnerte, war die große Anzahl von Fahrzeugen, die einfach an ihr vorbeigefahren waren. Nicht einer hatte angehalten, um zu schauen, ob jemand verletzt war oder Hilfe brauchte. Die Barfüßigen waren die Einzigen, die ihr zu Hilfe gekommen waren. Einer hatte seinen Eselskarren entladen, um sie möglichst schnell ins nächste, mehrere Meilen entfernte Krankenhaus zu bringen, wo der Esel ihre Ankunft mit lautem Geschrei und einem Haufen verkündete.
    Während ihrer Genesung lernte sie Gitarre spielen. Anfangs fiel es ihr schwer, die Saiten zu drücken und die Akkorde zu greifen, aber als es ihr gelang, dem Instrument Musik zu entlocken, wirkte diese auf seltsame Weise beruhigend. Die Musik beschleunigte den Heilungsprozess. In dieser Zeit begann sie, ernsthaft über ihr Leben nachzudenken. Was hätte sie den Menschen hinterlassen, wenn sie gestorben wäre? Zum Leben musste doch mehr gehören als schnelle Autos, Feste und Schönheitssalons. Sie studierte im ersten Jahr an der Eldares University, und von da an interessierte sie sich für soziale Fragen. Sie spielte Theater, wurde aktiv in der Studentenpolitik und beschäftigte sich mit den Exilaktivitäten von Yunity Mgeuzi-Bila-Shaka und Luminous Karamu-Mbu-ya-Ituĩka, die ihre jugendliche Phantasie beflügelten. Sie liebte die Bühne, und nichts machte sie glücklicher, als diese oder jene tragische oder komische Rolle zu spielen und beim Publikum

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