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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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während es die Frauen angenehm und kühl haben?“, fragte Nyawĩra spitz. „Frauen tragen die Hauptlast der Armut. Welche Möglichkeiten hat denn eine Frau im Leben, vor allem in Zeiten der Not? Sie kann heiraten oder mit einem Mann zusammenleben. Sie kann Kinder kriegen und großziehen und sich von ihrem Mann misshandeln lassen. Hast du ‚Zwanzig Säcke Muschelgeld‘ von Buchi Emecheta aus Nigeria gelesen? Oder ‚Der Preis der Freiheit‘ von Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe? ‚Ein so langer Brief‘ von Mariama Bâ aus dem Senegal? Das sind drei Frauen aus unterschiedlichen Gegenden Afrikas, die ähnliche Gedanken über die Lage der Frauen in Afrika in Worte fassen.“
    „Ich lese nicht gerade viele literarische Bücher“, sagte Kamĩtĩ. „Noch weniger Romane afrikanischer Frauen. In Indien findet man solche Bücher selten.“
    „Aber es gibt doch in Indien sicherlich auch Schriftstellerinnen? Indische Schriftstellerinnen?“ Nyawĩra blieb hartnäckig. „Arundhati Roy, zum Beispiel, ‚Der Gott der kleinen Dinge‘. Meena Alexander mit ‚Fault Lines‘? Susie Tharu. Lies mal ,Women Writing in India‘. Oder ihr zweites Buch, ,We Were Making History‘, über die Frauen im Freiheitskampf!“
    „Ich habe ein bisschen in den Epen der indischen Literatur geblättert“, versuchte Kamĩtĩ sich zu rechtfertigen. „Das Mahabharata, das Ramayana, und vor allem die Bhagavad Gita. Es gibt noch ein paar andere, sie heißen Puranas, Rigveda, Upanishaden … Nicht, dass ich alles gelesen habe, aber …“
    „Ich bin sicher, dass diese Epen und Puranas, selbst die Gita, allesamt von Männern verfasst wurden“, erwiderte Nyawĩra. „Denselben Männern, die das Kastensystem erfunden haben. Wann werdet ihr endlich anfangen, die Stimmen der Frauen wahrzunehmen?“
    „Um ehrlich zu sein“, wandte Kamĩtĩ ein und versuchte, das Gespräch vom Thema Schriftstellerinnen wegzulenken, „am meisten faszinieren mich Bücher über Ägypten und Äthiopien, das Niltal, das Rote Meer und die Küste. Ich habe eine Theorie, dass die Küsten des Indischen Ozeans einst Orte kultureller Begegnung mit ständiger Migration und Austausch gewesen sind. Es gibt kaum Frauen, die darüber schreiben. Aber ich will gern anfangen, Bücher von Schriftstellerinnen zu lesen. Vielleicht kannst du mir welche empfehlen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Was hattest du in Bettlerkleidern am Ruler’s Square zu suchen?“
    „Und du?“, erwiderte Nyawĩra. „Was hattest du dort verloren?“
    Bevor Kamĩtĩ antworten konnte, lachte sie wieder, als wäre ihr ein neuer Gedanke gekommen.
    „Was hast du?“, fragte Kamĩtĩ. Lachte sie wegen seiner Unkenntnis über Schriftstellerinnen?
    „Es ist mir eingefallen, als du über Ägypten und Äthiopien erzählt hast. Woher weißt du so viel über Hexerei und Zaubertrank?“, brachte sie, von Lachen geschüttelt, hervor.
    Als sie seinen Ausflug in die Magie erwähnte und ihm wieder einfiel, welches Gesicht der Polizist gemacht hatte, brach auch Kamĩtĩ in Gelächter aus.

9
    „Als Kinder haben wir oft Zauberer gespielt. Wir haben einen Holzspieß durch ein Bündel aus Blättern, einem toten Frosch oder einer toten Eidechse und ein oder zwei Sodom-Äpfeln gespießt und dann das Ganze mitten auf einem Pfad in die Erde gesteckt. Aus sicherer Entfernung haben wir die Stelle beobachtet. Am meisten erregte uns, wie die Erwachsenen, ausgewachsene Männer und Frauen, jede Berührung mit diesem Bündel vermieden. Einige traten sogar einen oder zwei Schritte zurück, bevor sie es in einem großen Bogen umrundeten. Niemand wagte, es zu berühren. Manchmal blieb das Bündel weiß Gott wie lange an derselben Stelle liegen.
    Gleich außerhalb unseres Dorfes gab es eine große Obstplantage mit Pflaumen-, Pfirsich-, Mango-, Orangen-, Mandarinen- und Zitronenbäumen, und jedes Mal, wenn wir an diesem Garten Eden vorbeikamen, ließ der Besitzer seine Hunde auf uns Kinder los, damit wir nicht sein Obst stahlen. Einige stiegen trotzdem über den Zaun, und wenn sie zurückkamen, beulten sich ihre Taschen mit gestohlenen Früchten. Trotzdem war es alles andere als in Ordnung, dass er auf einem öffentlichen Weg die Hunde auf uns hetzte, und noch mehr hassten wir, dass er uns alle für Diebe hielt, die eine Bestrafung verdienten, ganz egal, ob wir etwas gestohlen hatten oder nicht.
    Eines Tages beschlossen wir, unsere Zauberkräfte auch an unserem Peiniger auszuprobieren. Wir präparierten das magische Bündel

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