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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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auf die gleiche Weise, machten es aber noch wirksamer. Wir fügten den toten Fröschen und den Sodom-Äpfeln noch ein paar tote Chamäleons hinzu und platzierten den Spieß in einer Ecke der Plantage, wo er von Vorbeigehenden gesehen werden konnte.
    Es funktionierte tatsächlich. Sogar ein bisschen zu gut für unseren Geschmack. Der Bauer war so verängstigt, dass er einen Zauberheiler beauftragte, die Macht des Bösen unschädlich zu machen, die ohne Zweifel von neidischen Konkurrenten auf sein Land gepflanzt worden war. Aber seine Gegenmaßnahme half nicht, weil sich die Leute nun davor fürchteten, zwischen zwei sich bekämpfende Magien zu geraten. Die Sache sprach sich herum, und bald weigerten sich Groß- und Einzelhändler aus anderen Regionen, das Obst des Mannes auch nur anzufassen.
    Ein indischer Kaufmann bewahrte ihn vor dem Ruin. Er sagte, afrikanischer Zauber könne indischer Magie nichts anhaben und kaufte das Obst zum Abfallpreis auf. Als Begründung gab er an, er müsse viel Geld dafür aufwenden, die Früchte mit mächtigen, direkt aus Indien importierten Zaubertränken zu reinigen.
    Anfangs waren wir Zauberlehrlinge glücklich über unseren Erfolg und dachten, wir wären raffinierter als alle Erwachsenen und Berufszauberer zusammen, weil wir sie zum Narren gehalten hatten. Und weil wir glaubten, dass unsere Eltern, die den Besitzer der Obstplantage ebenfalls nicht leiden konnten, sich darüber freuen würden, ließen wir sie an unserem Triumph teilhaben. Die Prügel, die wir bekamen, haben uns bis heute alle Gedanken an ein Herumspielen mit Zauberei ausgetrieben.“
    „Warum haben sie euch bestraft? Weil ihr euch mit Hexerei beschäftigt habt oder weil ihr sie benutzt habt, um den Landbesitzer zu ruinieren?“
    „Wahrscheinlich wegen beidem. Wie können Kinder es wagen, einem Erwachsenen so etwas anzutun? Und noch dazu einem Nachbarn? Aber ich glaube eher wegen unseres Spiels mit der Hexerei. Wer weiß? Selbst völlig unschuldige Handlungen eines Säuglings können gefährliche Geister aus der anderen Welt hervorlocken, die dann die Lebenden verfolgen. Wir hätten also wissen müssen, dass unsere Eltern kaum zu uns sagen würden: Vielen Dank für euren Einfall, Zauberheiler zu werden.“
    „Aber für den Zauber von heute Nacht danke ich dir. Er hat uns gerettet“, sagte Nyawĩra und fügte etwas ernsthafter hinzu: „Wann hast du dich eigentlich den Bettlern angeschlossen? Ich habe dich noch nie in der Gruppe gesehen.“
    Kamĩtĩ schlang eine Ladung ugali hinunter.
    „Wo soll ich anfangen?“, fragte er, um Zeit zu gewinnen und seine Geschichte zu ordnen. „Ich komme aus Kĩambugi. Meine Eltern waren arm und das Schulgeld für mich aufzubringen, war eine enorme Belastung für sie. Sie mussten ihre Hühner verkaufen, dann die Ziegen und schließlich ihr Land, sodass sie nichts für schlechte Tage zurücklegen konnten. Als ich mit der Universität fertig war, glaubte ich, nun wäre ich an der Reihe, ihnen meine Dankbarkeit zu zeigen. Aburĩria aber war anderer Meinung. Für meine Freunde war ich die reinste Plage – hab den einen um einen Schlafplatz für die Nacht gebeten, den anderen um etwas zu essen. Von überall hab ich mir das Fahrgeld zusammengeborgt.“
    „Und Bahati? Du hast gesagt, du wohnst in Bahati!“, fragte sie.
    „Tut mir leid, das war gelogen oder eher eine Irreführung. Ich habe mit der doppelten Bedeutung des Wortes gespielt, dir einen Ort genannt, den es tatsächlich gibt. In Wirklichkeit lebe ich, wohin mich das Glück und der Zufall führen. Eines Tages habe ich mir geschworen, meinen Freunden nicht länger zur Last zu fallen. Ich wollte in die Fußstapfen von Johannes dem Täufer treten und mein Lager in der Wildnis aufschlagen. Wie die Obdachlosen wollte ich meinen Unterhalt im Müllberg suchen. Anfangs habe ich mich gut gefühlt, weil ich vor meinen Freunden nicht mehr meine Würde verlieren musste, aber die Selbsterniedrigung schlug mir ziemlich auf die Seele. Wenn du deine Selbstachtung verlierst, was bleibt dir dann?
    Diese Frage hat mich gequält, also habe ich eines Tages entschieden, dass mein Leben eine andere Richtung nehmen muss, vielleicht zum Weg eines buddhistischen Mönches. Ich habe mich sozusagen für zwei Uniformen entschieden, die des Jobsuchenden bei Tag und die des Bettlers bei Nacht. Heute war mein erster Abend als Bettler, und schau, was er mir gebracht hat …“
    Kamĩtĩ machte eine Pause. Er spürte, Nyawĩra hörte ihm nicht richtig zu, und

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