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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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vor.«
    Tabitha wirkte nicht überzeugt. »Das gefällt mir nicht.«
    Mrs. Fletcher nahm ihren Ellbogen und führte sie hinauf. »Mir auch nicht, aber wir haben keine andere Wahl.«
    Sie erreichten gerade den Absatz, als sie ein lautes Krachen wie von Holz hörten, das jemand über dem Knie entzweibrach. »Geh!«, drängte die Haushälterin und schob Tabitha in Richtung des Schlafzimmers ihres Herrn.
    Das Geräusch hielt an, ehe es polterte: Das Stalltor war zerborsten.
    Im Schlafzimmer öffnete Tabitha die Vorhänge, drehte rasch am Griff und stieß das Fenster auf. Indem sie sich mit beiden Händen aufs Sims stützte, schaute sie hinaus. Der Schock angesichts der Monstrosität, die sie unten sah, brach sich in ihrer Stimme Bahn. »Mrs. Fletcher … es ist frei!« Die Bretter des Tores lagen einzeln verstreut auf dem Platz. »Oh mein Gott«, stöhnte sie. »Was ist das?«
    Die Kreatur unterschied sich erheblich von dem kümmerlichen Exemplar, das ihr Bruder abgegeben hatte; Donald war immerhin noch ein menschliches Äußeres geblieben, doch dem ähnelte dieses Ding nicht einmal annähernd.
    Mrs. Fletcher richtete das Gewehr aus. »Mach die Tür zu«, befahl sie, »und sperr ab.«
    Diesmal widersetzte sich Tabitha, da sie lähmende Angst vor dem Wesen verspürte, das sich über den Hof schleppte. Es war ein Scheusal, wirkte nicht natürlich und mochte im Lichtlosen ausgeworfen worden sein. Statt Augen glommen weiße Flammen in seinem Kopf.
    Wie bei Donald …
    So ein Geschöpf hatte in Tabithas Fantasie dereinst unter ihrem Bett gehaust und nachts darauf gewartet, sie am Knöchel hinunterzuziehen. Nun sprang es und landete in der Hocke direkt unter dem Fenster, wo es seinen missgestalteten Kopf reckte.
    »Tabitha!«, rief Mrs. Fletcher. »Wo ist es jetzt?«
    Das Mädchen konnte nicht sprechen; seine Gedanken waren wie Laub in einer Windhose, aufgewirbelt durch elektrisierende Panik. Zwar wollte – musste – Tabitha angeben, das Ding habe die Tür erreicht, doch auch wenn sie ihre Stimme wiedergefunden hätte, wäre ihr doch nicht die Wahrheit über die Lippen gekommen.
    Es hatte die Tür nämlich nicht bloß erreicht, sondern hing an ihr beziehungsweise klebte am Holz wie ein Betrunkener ausgestreckt auf einem Kneipentisch, um seelenruhig an der Mauer nach oben zu kriechen.

    ***

    Pulverdampf lag in der Luft.
    Kate saß zitternd auf der nassen Erde.
    Das Pferd war ausgebrochen, als Grady einen Schuss abgegeben hatte, und nun starrten sich die beiden an. Obwohl es in ihren Ohren fiepte, vernahmen sie die Geräusche im umliegenden Gras.
    Er hat nicht auf mich gezielt, befand Kate gewissermaßen erleichtert, womit jedoch allenthalben ein Fünkchen Licht durch ihr vor Ausweglosigkeit schwarzes Seelenfenster fiel. Grady hatte sie um nur wenige Zoll verfehlt, sein Ziel jedoch getroffen. In ihrer Abwehrhaltung am Boden hatte sie gehört, wie die Kugel auf Fleisch geklatscht war, woraufhin etwas einen gequälten Schrei ausgestoßen und wild im Dunkeln um sich geschlagen hatte. Sie wollte nicht hinsehen; die Angst machte sie unfähig, während die Nacht zu einem unbezähmbaren Etwas wurde, das nach Blut und Rauch stank.
    Zuletzt musste sie die Augen aufmachen, denn das Getöse war zu einem kümmerlichen Wimmern abgeflaut, das an ihre Empfindsamkeit appellierte. Sie fühlte mit, und als ihr Blick auf das sterbende Geschöpf nur wenige Fuß hinter ihm im Gras fiel, erkannte sie es mitnichten als gefräßiges Biest, wie sie es eigentlich erwartet hatte. Es war ein Mann, dem der halbe Schädel fehlte.
    Sie erhob sich und vergaß dabei ihre Lampe, während ihr die Pistole jeden Moment entglitt, weil ihre Hand von Schweiß und Regen zu feucht war.
    Die Schritte wurden lauter – laut genug um zu ahnen, dass sie sah, wer sich näherte, wenn sie bloß das Licht aufhob. Allerdings konnte sie sich nicht bewegen, sondern schaute nur über die Schulter zu Grady, der aussah, als habe ihn jemand von hinten überwältigt und sein Rückgrat gestohlen: Er war vornübergebeugt und keuchte, blickte finster geradeaus und wirkte dennoch wie ein Geschlagener. Seine Lampe hielt er neben sich hoch, doch sie erhellte wenig und zeichnete vor allem hässliche Schatten in seinem zerfurchten Gesicht. Nach dem Regen hatte sich auch der Wind verzogen. Die Nacht war still, und Sterne lugten zwischen den Wolken wie die Äuglein eiskalter Engel hervor. Die Gewehrmündung qualmte noch.
    Kate betrachtete den Mann im Gras. Er war nackt, seine Haut

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