Herr der Moore
muss.« Mrs. Fletcher meinte dies zum Scherz. Gradys böser Blick zwang Kate zu einem Lachen, und die Schlechtwetterwolken über ihnen waren wie fortgeweht. Sie hackten, sägten und schnitzten bald alle beherzt an ihren Halloween-Köpfen.
»Haben Sie auch vor, heute Abend ein wenig das Tanzbein zu schwingen?«, fragte Mrs. Fletcher den Jungen.
»Eher nicht.«
»Ach, kommen Sie«, stichelte die Frau. »Jede Wette, dass man Sie kaum von der Tanzfläche bekommen wird.«
Neil schnaubte missbilligend.
»Wenn Tabitha Newman da ist, bestimmt«, murmelte Kate, woraufhin er finster in ihre Richtung starrte. Unter seinen buschigen, schwarzen Brauen sah man das zusammengekniffene Weiß der Augen kaum noch.
»Tabitha Newman?«, hakte Grady nach. Er klang erstaunt.
»Dan Newmans Tochter«, erklärte Mrs. Fletcher. »Er ist ein ziemlich reputierlicher Mann. Sie hätten eine weit schlechtere Partie machen können als die Tochter eines Baumwollhändlers, junger Neil.«
Er war puterrot geworden. Seine Finger auf der Rübe zitterten so arg, dass Kate befürchtete, er schneide sich. Trotzdem konnte sie sich eine weitere Spitze nicht verkneifen. »Sie ist wohl auch eine ziemlich heißblütige Tänzerin.«
»Halt den Mund«, blaffte ihr Bruder.
»Neil, bitte«, mahnte Mrs. Fletcher. »Sie macht nur Witze.«
»Soll sie aber nicht«, erboste er sich. »Das geht sie alles nichts an.«
Grady grinste wieder. »Ach Junge, seien Sie nicht …«
»Und Sie auch nicht«, unterbrach Neil ihn und warf das Messer auf den Tisch.
Betretene Stille folgte, bis Kate sagte: »Was in aller Welt ist los mit dir? Wir haben uns bloß einen Spaß erlaubt.« Dass er so wütend war, stieß sie vor den Kopf.
»Bei euch ist alles immer bloß Spaß. Ich habe es satt.«
Grady legte ihm eine Hand auf die Schulter, doch Neil zuckte zusammen und entzog sich. »Lassen Sie das.«
»Schon gut«, beschwichtigte Mrs. Fletcher. »Es besteht kein Grund, sich gegenseitig an die Gurgel zu springen. Wir haben uns offensichtlich und zu Unrecht in Neils Angelegenheiten eingemischt. Von nun an sollten wir uns um unseren eigenen Dreck scheren, oder was meinen Sie?« Als sie sich über den Tisch reckte, stieß sie beinahe einen Kürbis mit ihrem üppigen Busen um. Kate sprang rechtzeitig hin und hielt ihn fest. »Verzeihen Sie uns, Neil?«, fragte die Haushälterin, indem sie seine Wange streichelte. Kurzzeitig sah es so aus, als wolle er sich von ihr abwenden, doch allmählich wurden seine Züge sanfter, wenn auch nur ein wenig. »Ja.«
»Gut«, schloss sie. Kate sah, dass sie verärgert war.
Grady tippte den Jungen wieder an und durfte die Hand diesmal auch an seinem Oberarm lassen. »Dieser kleine Mann arbeitet schwer und muss folglich Dampf ablassen wie wir alle, nicht wahr?«
Neil nickte, bis er langsam nach dem Messer tastete und mit dem Aushöhlen fortfuhr. Der Friede war wiederhergestellt, auch wenn sie die Heiterkeit dafür geopfert hatten. So arbeiteten sie still weiter, und Kate schnitt sich zweimal in den Daumen, weil sie an ihrem Kürbis schnippelte, während sie ihren Bruder im Auge behielt.
Sie machte sich größere Sorgen denn je. Mochte er nun milde gestimmt aussehen, spürte sie immer noch, dass es in ihm brodelte. Weshalb war er so zornig? Dahinter musste mehr stecken als nur Scham, weil sie sein Techtelmechtel, oder seine Hoffnung für sie, zur Sprache gebracht hatten. Bin ich eifersüchtig? , fragte sie sich und gab sogleich zu, dass dies durchaus zutraf. Was geschah, wenn sich Neil und Tabitha über beide Ohren ineinander verliebten, heirateten und von dannen zogen, sobald es sich schickte? Genauso gut hätte er sterben können, denn dann verlor sie ihn wie ihre Mutter damals und ihren Vater gegenwärtig. Dann blieben ihr wirklich nur noch Grady und Mrs. Fletcher, während sie sich Umgang in ihrem Alter wünschte, so sehr sie die beiden auch schätzte. Sie träumte von jemandem, der sie liebte und niemals verließ.
Ja, es war Eifersucht, und sie nahm es hin. Angst vor dem Alleinsein nötigte sie, dem Benehmen ihres Bruders mehr Bedeutung als notwendig zuzumessen. Dennoch blieben Fragen offen, wenn sie ihn wiederholt anschaute und feststellte, dass er verspannt dastand und wie seine Halsschlagader pulsierte.
10
Doktor Campbell wurde in einem Graben wach und wähnte sich in einem Traum, denn wo er hinschaute, sah er nichts als Weiß. Schwebte er im Himmel? Dann brach die Kälte so heftig über ihn herein, dass er glaubte, jemand habe sein
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