Herr der Moore
Blut durch Eiswasser ersetzt. Er war nass, weshalb er zuerst annahm, seine Blase habe im Schlaf nachgegeben. Als er sich aber umdrehte, schmatzte der Grund unter ihm. Ein letztes Mal versuchte er, diesen grotesken Alb zu verdrängen, indem er blinzelte, sah jedoch elenden Mutes ein, dass er hellwach war. Orientierungslos setzte er sich aufrecht hin, da überkam ihn eine Welle der Übelkeit.
Was ist passiert? Wo in Gottes Namen bin ich?
Er ächzte und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Seine Schläfen pochten dumpf, und es kostete ihn große Anstrengung, sich ins feuchte Gras zu stützen und aufzuraffen. Vor Pein drückte er die Augen zu und versuchte, etwas im Nebel zu erkennen, was aber unmöglich war.
Ich stehe auf einem Feld.
Wie war er hergekommen? Seine Gedanken waren so träge wie seine Bewegungen.
Also gut, Hirnschmalz anstrengen … ich war im Fox & Mare.
Er schritt voran, während er den Kopf mit beiden Händen festhielt, als wolle er sein Gehirn am Herausplatzen hindern. Ein Fuß sank bis zum Knöchel in ein Schlammloch. Während er sich bemühte, das Gleichgewicht zu bewahren, streckte er die Arme aus und torkelte rückwärts. Seinen Fuß bekam er los, allerdings ohne den Schuh, der sich mit abgestandenem Wasser füllte.
»Verflucht noch mal!«, keifte er laut und bückte sich nach dem vollgesogenen Schuh. Dabei schoss ihm das Blut in den Schädel, was ihn benommen machte und den ohnehin unaufhörlichen Katzenjammer verschlimmerte. Wieder stöhnte er und tastete mit den Fingern in dem Wasserloch herum, bis er Leder fühlte. Indem er zog, verursachte er ein saugendes Geräusch, und der Schuh glitschte so plötzlich heraus, dass Campbell beinahe wieder auf dem Rücken landete. Nachdem er sich gefasst hatte, hielt er sein Fußkleid hoch und betrachtete es mit zunehmendem Groll, bis seine Brust wehtat. Er atmete wie mit Lungen voller Sand. Der Teufel soll mich holen. Er zupfte sein Taschentuch aus dem Brustschlitz des Mantels und hustete hinein, bis seine Kehle schmerzte und die Augen tränten. Hastig klopfte er sich ab und stellte fest, dass er seinen Flachmann noch besaß, wer oder was auch immer ihn auf dieses Feld gebracht hatte. Dafür zumindest war er dankbar. Er schraubte den Deckel ab und trank das Gefäß leer, bevor er es zurücksteckte und sich der unsäglichen Aufgabe annahm, den Schuh so weit vom Matsch zu säubern, dass er ihn wieder anziehen konnte. Barfuß wollte er sich nicht auf den Nachhauseweg begeben.
Voller Abscheu schabte er den Schmutz vom Leder. Dann ließ er ihn fallen und zwängte den Fuß hinein, wobei er sofort raunte, da Kälte über seine Zehen schauerte. Endlich konnte er losgehen, indes noch ziellos und vorsichtig in Gedanken an die Unbillen des Moores. Dorthin nämlich – da war er sicher – hatte es ihn verschlagen, doch zum Ausharren war er schlicht zu aufgebracht.
Diese Situation war eine von vielen misslichen, in die er jüngst geraten war. Er wusste, etwas wollte ihn reuig machen, auf dass er seine Fehler eingestand – als Mensch, Arzt und … Ehemann. Gott ließ ihn liegen, bis die Kälte ihn umbrachte oder Fangarme durch die Grasnarbe brachen. Du hast dich bemüht und versagt; Zeit zum Aufgeben. Auf dich warten nur weitere Enttäuschungen und noch mehr Schmerz. Am besten bist du unter der Erde aufgehoben.
Ach, zur Hölle damit , wetterte er innerlich, machte den Hals lang, um besser zu sehen – irgendetwas im Nebel, das ihm einen Anhaltspunkt über seinen Verbleib oder die Richtung gab, in die er irrte. Er mutmaßte, der Harndrang habe ihn hergetrieben, ehe er aus unbekanntem Grund ohnmächtig geworden war. Stimmte dies, konnte er nicht weit von der Straße abgekommen sein. Diese logische Erklärung der Umstände ermutigte ihn zum Weitergehen. Er wagte nur kleine Schritte und stand auf einmal am schlammigen Rand eines Sumpfloches.
Es ist einfach ungerecht , greinte seine Seele. Mein ganzes verkorkstes Leben ist eine stete Abfolge mittelschwerer Katastrophen . Wie sich der dicke Dunst vor ihm wälzte, erinnerte er sich an einen Morgen vor mehreren Monaten, an dem er wieder einmal durch fremde Hand von seinem Weg abgebracht worden war – von seinem eigenen, seinem einzigen Freund und Kollegen Jeremy Herbert. Dieser hatte ihm die Nachricht übermittelt, der Vorstand des Royal Hospital London, in dem Campbell acht Jahre gearbeitet hatte, entlasse ihn. Der einberufene Ausschuss hatte angeblichen Morphiumdiebstahl angeführt, Drogenabhängigkeit und
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