Herr der Moore
eine Frage der Zeit. Also musste er sich sputen und hoffen, der Bandagierte zeige Verständnis für seine Eile. Obwohl er Stephen erst vor wenigen Stunden begegnet war, beschlich Donald das entsetzliche Gefühl, der Fremde werde seiner Mutter ohne Zögern etwas antun, so sie herausstürmte, um ihn zurechtzuweisen, weil er ihr Land betreten hatte.
Als er stehen blieb, waberte der unangenehme Geruch von klammer Erde und Verwesung herüber, der von dem Mann hinter dem Zaun ausging. »Hallo«, begann Donald. »Sie haben es erhalten, oder?«
Die düsteren Augen hinter dem dreckigen Mull funkelten. »Jawohl, und wie steht es um deinen Teil der Abmachung?«
Donald steckte die Hände in die Hosentaschen. Der Wind kam ihm so kalt vor, als wehe er glatt durch seinen Körper. »Meine Schwester lud ihn zum Tanz heute Abend ein. Sie hegt natürlich kein Interesse an ihm, weiß aber, dass der Blindgänger sie gernhat.« Er strahlte in Erwartung eines Lobes, doch stattdessen schnellte die Hand seines Gegenüber hervor und packte ihn am Kragen, woraufhin Donalds Augen hervortraten. »Was?«, krächzte er ungläubig und mehr als nur ein wenig ängstlich, je fester der Mann zudrückte.
Stephens Augen brannten nun regelrecht. »Hüte dein Schandmaul, wenn du über den Knaben sprichst. Äße ich Hirn zu Abend, würde ich mich an seinem gütlich tun, während ich vor deinem Schädel sicher verhungerte. Bevor du das nächste Mal jemanden verunglimpfst, schau in den Spiegel, du tumber Hasenzahn.«
»Tut mir leid …« Donald glaubte, sein Kopf platze gleich; seine Augen zumindest fielen ihm gleich heraus. Bei jedem Atemzug kam es ihm vor, als veranstalte jemand ein Tauziehen mit seiner Zunge.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sich der Junge bereits damit abgefunden hatte, er müsse sterben, erwürgt von einer Mumie auf seinem eigenen Hof, ließ Stephen ihn los. Donald massierte seine Kehle und schnauzte: »Was sollte das?«
»Ich bin kurz angebunden, wenn ich mich mit Schulhofschlägern plagen muss, die sich selbst nicht leiden können.«
»Das bin ich nicht.«
»Ach nein? Deine Schwester, die uns gerade von ihrem Zimmerfenster aus beobachtet, wäre wahrscheinlich geneigt, dir vehement zu widersprechen.«
Stephen ließ den Blick langsam über Donalds Kopf schweifen, der sich dabei gezwungen sah, ebenfalls zurückzuschauen. Vier Fenster im gleichen Abstand voneinander gab es im Obergeschoss des Hauses. Ganz rechts harrte eine blasse Gestalt unter der Reflexion des bleifarbenen Himmels aus. Donald erkannte seine besorgte Schwester kaum, verspürte aber sofort Argwohn.
»Nervensäge«, murmelte er.
»Sie macht dich wütend«, schloss Stephen.
»Ja, na und?«
»Nenne mir den Grund dafür.«
»Ich weiß nicht … sie ist eine Zicke, eine blöde, stinkende Kuh.«
»Daran allein kann es nicht liegen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Du liebst sie.«
Donald heuchelte Gleichmut. »Muss ich halt.«
Stephen nickte einmal. »Korrekt. Du musst, weil etwas anderes nicht infrage kommt.«
»Was soll das sein?«
»Du begehrst sie doch.«
Mit einem Mal geriet der Junge so außer sich, dass er einen Schritt nach vorn wagte, während er die Hände an den Hüften behielt, allerdings zu Fäusten geballt. »Hören Sie mir zu, mir ist egal, was Sie von mir halten, aber passen Sie auf, was Sie von sich geben. Mein Vater könnte nach dem, was Sie mir gerade an den Kopf geworfen haben, dafür sorgen, dass Sie hinter Gitter wandern oder Sie das nächste Irrenhaus von innen kennenlernen.«
Die Bandagen legten sich leicht in Falten; Stephen lächelte. »Stimmt es denn nicht?«
»Nein, natürlich stimmt es nicht! Wie kann man so etwas Perverses behaupten? Meine eigene Schwester … Sie haben doch den Verstand verloren!«
»Würdest du sie abweisen, falls sie sich dir anböte?«
Nein , dachte er dann und spürte, dass er rot wurde. Nein, würde ich nicht, aber fahr zur Hölle, du Hundsfott, und hör auf, meine Gedanken zu lesen! Donald wusste, wie unerträglich er wegen solcher Träume wurde, wie man ihn im Dorf ansehen musste, falls man erfuhr, dass ihn nach seiner Schwester gelüstete, und wie ihn sein Vater verdreschen würde. All dies aber tilgte den Drang nicht, den er verspürte, sobald Tabitha ihn anfasste. Dann schlug er stets nach ihr und verletzte sie zur Bestrafung dafür, dass sie ihn in Versuchung führte, gleichzeitig, da er sich selbst wegen der Empfindungen verdammte, die sich in ihm regten, sobald sie ihn berührte.
Es war
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