Herr der Moore
grinste schief bei sich. Sei nicht albern . Dennoch befreite ihn diese Maßreglung nicht von der hartnäckigen Bangigkeit, etwas sei nicht in Ordnung. Selbst Neil verhielt sich anders als sonst. Gute Laune verbreitete der Junge selten, doch die abgründige Stimmung, die er jüngst an den Tag gelegt hatte, war jedem von ihnen dreien neu gewesen. Als er sich zum Abendessen wieder gefangen hatte, war er sogar in schallendes Gelächter ausgebrochen, und hätte Grady es nicht selbst bezeugt, wäre es ihm undenkbar vorgekommen. Das Mädchen , sann er weiter. Newmans Tochter ist daran schuld. Hatten sie ihre Mahlzeit nun vergnügt zu sich genommen, ahnte er dennoch fast, es sei ihre letzte gewesen, als hätten Todgeweihte gemeinsam gespeist und gefeixt, ehe man sie hängte. Meine Güte , dachte er und schloss die Augen. Dann fasste er sich mit Daumen und Zeigefinger ans Nasenbein. Hör auf, solch groben Unfug zusammenzuspinnen, oder es passiert wirklich.
Er führte es auf den Sturm zurück. Der Wind heulte um ihren warmen Hort und steigerte sein Unbehagen, sodass es leichter fiel, sich grundlos von unmittelbarer Gefahr bedroht zu fühlen, als zu entspannen und an die Normalität zu glauben. Da er sich aber nicht allein sorgte, fühlte er sich bestätigt, denn alle am Esstisch hatten trotz ihres Frohsinns die gleiche Unruhe und Geistesabwesenheit durchblicken lassen.
Über ihnen lag ein Mann im Sterben, aber sie waren so dreist und lachten, während sie sich zum Tanzen fertig machten. Vielleicht war es das: Schuldgefühle. Was aber hätten sie sonst tun sollen? Grady wollte die Kinder einsperren – selbst wenn sie ihm gehorcht hätten, was er bezweifelte – und dazu nötigen, über ihren Vater zu grübeln, während der Rest der Dorfleute den einzigen Abend im tristen Herbst auskosteten, an dem sie nicht zu Hause hocken, nächtlichen Geräuschen lauschen und sich über die Zukunft sorgen mussten.
Nein.
Heute Abend würden sie tanzen. Der Kummer konnte warten. Kate sollte sie bald verlassen und auf eigenen Füßen stehen, Neil ebenfalls. Wenn der Master starb, stand das Mansfield-Anwesen im Stillen und überblickte ein zerfallendes Dorf, bis es beizeiten selbst in sich zusammenbrach.
Grady graute davor, was er nach seiner Dienstzeit im Haus anfangen mochte. Obwohl er versuchte, es zu verdrängen oder zumindest nicht allzu lange darüber nachzudenken, damit es ihn nicht zur Gänze vereinnahmte, kam er nicht umhin, sich seinen Sohn drüben in Irland vor Augen zu rufen. Conor führte sein eigenes Leben und würde es nicht willkommen heißen, wenn sich ihm eine Altlast aufdrängte, falls sich Grady traute, an seiner Tür zu klopfen.
Die Politik hatte einen Keil zwischen die beiden getrieben.
Conor verachtete die Engländer, weil sie sich Irland einverleiben wollten. Er nutzte seinen Posten bei der Bank regelmäßig aus, um Milizen zu unterstützen, die sich zur Vertreibung der Nachbarn anschickten. Grady, der die Meinung seines Sohnes teilte, hatte ihm dazu geraten, sich auf weniger aggressive Weise anzudienen, weshalb er in Conors Augen gleich zum Sympathisanten geworden war, zumal er nicht wenige Engländer zu seinen Freunden zählte. Natürlich war dies ein vermessener Vorwurf, von dem sein Sohn aber nicht abrückte. Der Separatismus, unter dessen Joch die Nation litt, hatte am Ende auch böses Blut zwischen ihnen beiden heraufbeschworen.
Kurz darauf war Grady zum Dienst als Hausmeister des Dubliner Bürgermeisters angetreten. Zwei Jahre später hatte es ihn dann nach London verschlagen, wo er von der freien Stelle bei Mansfield erfahren sollte. Dessen Gut war ihm abgeschieden genug vorgekommen, um dem Irrsinn des Weltgeschehens zu entgehen.
Nun hatte ihn der Irrsinn eingeholt, und zwar in Gestalt eines sagenhaften Wesens, von dem er sich bis zuletzt eingeredet hatte, es sei seiner Einbildungskraft entsprungen. Hielt er weiter daran fest, musste er sich damit abfinden, dass dieses erdachte Etwas an jenem Tag die Hälfte der Jagdgesellschaft dahingerafft hatte. Es konnte also nicht sein. Das Geschöpf war ihnen gefolgt – mit eindeutigen Absichten und quasi so, als habe es den Befehl desjenigen ausgeführt, auf dessen Geheiß sie das Moor betreten hatten.
Wie er jetzt am Tisch saß und sich dazu zwang, mit Mrs. Fletcher und den Kindern zu plänkeln, fürchtete er sich davor, dass dieses unergründliche Ding zurückgekommen war. Demzufolge fasste er sein Unbehagen als Vorahnung auf, die ihn gemahnte, auf der Hut zu
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