Herr der Moore
Er ist zu uns zurückgekehrt!
Indes, etwas an seinem Verhalten, das sie zu schnell als Nachwirkung seines Leidens gedeutet hatte, besorgte sie zutiefst und versetzte ihrer Jubelstimmung einen Dämpfer, sobald sie sich darauf versteifte.
Seine heisere Stimme vertrieb die Bedenken vorübergehend.
»Was wünschen Sie, Sir?«, fragte sie.
»Wasser«, krächzte er.
»Natürlich.« Emsig nahm sie das Tablett auf, wo sie es beim Hereinkommen abgestellt hatte, und brachte es zum Nachttisch. Im Licht der Laterne wirkte Jack Mansfield so ausgemergelt, dass sich Mrs. Fletcher fragte, ob sie sich nicht doch zu früh gefreut hatte; vielleicht war sein Aufleben tatsächlich nur einer Gnadenfrist geschuldet, ehe ihn der Tod heimsuchte.
Sie schaute zu, wie er die Decke vor seiner Brust glattstrich. Selbst diese simple Bewegung hätte niemand mehr in seinem Schlafzimmer erwartet. Gerade, dass man es ihm nicht zugetraut hatte, machte die Handlung umso wichtiger. Die alte Frau setzte sich auf die Bettkante und wollte ihm gerade das Wasserglas an den Mund halten, als er es eigenhändig nahm. Erneut staunte sie nicht schlecht. War es möglich, sich so rasch zu erholen? Welch absonderliches Weh verflüchtigte sich derart zügig aus dem Körper und ließ ihn einigermaßen gestärkt zurück?
Er schluckte gierig, bis das Glas leer war. Sie nahm es ihm behutsam ab und stellte es wieder aufs Tablett.
»Sir, wie geht es Ihnen?«
Er antwortete mit einem Husten, der ihr Angst machte. War dies der Moment, in dem sich die Illusion seiner Heilung zerstob, um ihn erneut zur lethargischen Hülle werden zu lassen?
Schon hatte er sich wieder beruhigt. Seine roten Wangen bezeugten Entschlussfreude. Seine Finger langten nach Mrs. Fletchers Handgelenk.
»Ich muss aufstehen«, bedeutete er. »Helfen Sie mir.«
»Oh«, stöhnte sie und erhob sich ruckartig, da er Anstalten machte, sich aus dem Bett zu wuchten. »Ich finde, Sie sollten liegen bleiben, Sir. Warten Sie wenigstens, bis Doktor Campbell eine …«
»Ich habe verdammt noch mal lange genug gelegen und will jetzt aufstehen. Etwas stimmt nicht, und wir … Sie müssen es in Ordnung bringen.« Als sie ihn verständnislos ansah, fügte er an: »Die Kinder schweben in Gefahr.«
»Master, machen Sie sich jetzt keinen Kummer. Ich versichere Ihnen, Kate und Neil geht es gut. Sie sind mit Mr. Grady zum Herbstball gegangen.« Ihr Lächeln erstarb, als er anfing, sich aufzudecken. Seine käsigen Beine waren dürr wie Streichhölzer; der Anblick versetzte ihr einen weiteren Stich. »Sir, bitte …«
Er ignorierte sie. Seine Bewegungen blieben fahrig, als er einen Arm ausstreckte und die Finger spreizte, um anzuzeigen, sie möge ihn nicht behindern.
»Es geht ihnen nicht gut«, berichtigte er in entschiedenem Ton, »falls wir müßig bleiben.«
Er hat Wahnvorstellungen , glaubte Mrs. Fletcher, und die Enttäuschung relativierte die Zuversicht. Die Krankheit ist bloß ins nächste Stadium fortgeschritten.
Schwungvoll wuchtete er die Beine von der Matratze, bevor er atemlos innehielt. Er schaute zu Boden, als klaffe dort ein Abgrund, und als er den Kopf wieder anhob, war sein Wille wieder der Furcht gewichen. »Ich bin nicht sicher, ob ich stehen kann«, gab er zu.
Sie rutschte zu ihm, nahm ihn an einer Hand und legte seinen Arm um ihren Hals, wobei sie ihn dafür schalt, sich erheben zu wollen, bevor sein Körper die Anstrengung verwinden konnte. Dann stand sie mit ihm auf und erschrak, weil er so leicht war, kaum schwerer als ein Sack Federn. Sie hielt ihn weiter fest und fand es erneut seltsam, dass er nicht mehr im Koma lag, sondern neben seinem Bett stand. Er zog seinen Arm fort und schaffte es, sich aufrecht zu halten, wenn auch mit wackligen Knien. Das bemüßigte ihn, zufrieden zu nicken.
Mrs. Fletcher schaute ihn an und schüttelte den Kopf. Er sah aus wie ein klappriges Gestell. »Sie sind noch zu schwach, Sir«, wies sie ihn zurecht. »Das ist töricht.«
Der böse Blick, den sie sich damit einhandelte, war eine weitere Unstimmigkeit und brachte sie zum Schweigen.
»Sie begreifen nicht«, erwiderte er. »Jemand trachtet nach den Kindern. Eigentlich sollte ich sie beschützen, doch leider habe ich die Grenzen meiner Nützlichkeit ausgereizt. Mehr denn je stelle ich nun eine Bedrohung dar.«
Sie fasste sich schreckhaft an die Brust. »Aber Sir … Fieber plagte Sie; woher wissen Sie, was irgendwem passieren mag?«
»Kann ich nicht sagen, aber es wird passieren. Wenn Sie mir nun
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